Der Azteke
Hauch von Humor, Spaß oder Frohsinn zu würzen. Ich habe nie einen erlebt, der nicht sein besonderes Fach als das gewichtigste und bedeutungsvollste aller Studienfächer angesehen hätte. Nun will ich gern zugeben, daß die Arbeit von Gelehrten wirklich wichtig ist – aber muß Wichtigkeit denn immer das lange Gesicht der Strenge und des tierischen Ernstes tragen? Historiker mögen ernsthafte Menschen sein und die Geschichte selbst bisweilen von einer Düsterkeit die traurig stimmt. Aber es sind die Menschen, welche die Geschichte machen, und diese Menschen spielen dabei so manchen Streich und Schabernack. Das wird durch die echte Geschichte der Mexíca nur bestätigt.«
Jetzt wandte er sich wieder direkt mir zu. »Kopf Neiger, deine Vorfahren, die Aztéca, haben nichts in dieses Tal gebracht: keine uralte Weisheit, keine Künste, keine Wissenschaft und keine Kultur. Sie haben nichts weiter gebracht als sich selber: ein feiges, unwissendes Nomadenvolk, eingehüllt in abgerissene Tierhäute, auf denen es von Würmern wimmelte, und ein Volk, das einen abscheulich-schaurigen Gott des Schlachtens und Blutvergießens verehrte. Dieser Abschaum wurde von jedem anderen, bereits entwickelten Volk in dieser Weltgegend verachtet und abgewiesen. Welches zivilisierte Volk würde auch das Eindringen von ungehobelten Habenichtsen freudig begrüßen? Die Aztéca ließen sich nicht auf dieser Insel inmitten der Ufersümpfe des Sees nieder, weil ihr Gott ihnen ein Zeichen geschickt hätte, und sie taten es auch keineswegs besonders freudig. Sie besiedelten sie, weil sie sonst nirgendwo hinkonnten und niemand sonst sich etwas aus diesem Buckel von Land machte, das von lauter Morästen umgeben war.«
Aus den Augenwinkeln heraus beobachteten meine Klassenkameraden mich. Ich bemühte mich, nicht unter Neltiticas Worten zusammenzuzucken.
»Sie errichteten auch nicht gleich große Städte oder sonst irgend etwas; sie mußten all ihre Zeit und Kraft darauf verwenden, erst einmal etwas zu essen zu finden. Es wurde ihnen nicht gestattet zu fischen, denn die Fischereirechte gehörten den Völkern, die um den See herum lebten. Daher fristeten deine Vorfahren eine lange Zeit hindurch nur ihr Leben – und zwar wirklich nicht mehr als das –, indem sie ekelerregende Dinge wie Würmer und Wasserinsekten sowie die schleimigen Eier dieser Geschöpfe aßen – und die einzige Pflanze, die in diesen Sümpfen gedieh: das Mexixin, die gemeine Kresse oder Pfeffergras, ein zottiges, bitter schmeckendes Kraut. Wenn deine Vorfahren sonst vielleicht auch nichts hatten – eines besaßen sie: einen beißenden Sinn für Humor. Denn mit trockener Ironie fingen sie an, sich Mexíca zu nennen.«
Allein der Name rief ein wissendes Gekicher unter meinen Klassenkameraden hervor. Neltitica fort:
»Zuletzt ersannen die Mexíca das Chinámitl-System, um richtig eßbares Gemüse und Mais anpflanzen zu können. Doch selbst dann bauten sie für ihren eigenen Gebrauch nur das Notwendigste an gewöhnlichen Hauptnahrungsmitteln wie Mais und Bohnen an. Ihre Chinámpas dienten hauptsächlich dazu, seltenere Gemüse und Krauter anzubauen – Tomaten, Salbei, Koriander, Süßkartoffeln –, Dinge, die ihre überheblichen Nachbarn nicht für sich anbauen wollten. Gegen diese Leckereien handelten die Mexíca sich andere lebensnotwendige Dinge ein wie Bauwerkzeuge und – materialien, Stoffe und Waffen, welche die Völker auf dem Festland ihnen sonst wohl kaum freiwillig gegeben hätten. Von da an machten sie rasche Fortschritte in Richtung auf Zivilisation, Kultur und militärische Macht. Aber nie haben sie das schlichte Kraut vergessen, mit dem sie sich zu Anfang am Leben erhalten hatten, das Mexixin, und sie haben auch späterhin nie den Namen aufgegeben, welchen sie von die-· sem Kraut übernommen haben. Heute ist der Name Mexíca in unserer ganzen Welt bekannt, geachtet und gefürchtet, aber er bedeutet nichts anderes als …«
Mit Bedacht hielt er inne und lächelte, während mein Gesicht sich wieder mit flammender Röte übergoß und die ganze Klasse einstimmig rief: »Die Kraut-Menschen.«
»Man hat mir berichtet, junger Herr, daß du den Versuch unternommen hast, dir selbst einiges Lesen und Schreiben beizubringen«, sagte der Meister der Wortkunde ein wenig verdrießlich, als hielte er solchen Selbstunterricht für etwas Unmögliches. »Und ich habe gehört, du hast einige Proben deiner Arbeit mitgebracht.«
Respektvoll reichte ich ihm den zusammengefalteten
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