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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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auch der spielt nur Krieg. Sein Speer weist keine scharre Spitze auf, sondern einen Federbausch, und seine Pfeile sind an der Spitze mit Óli-Kugeln bewehrt, ähnlich denen, die wir heute benutzen, um Knaben das Bogenschießen beizubringen.«
    »Jawohl, Gebieterin. Ich habe bei den Kriegsspielen selbst solche Pfeile benutzt.«
    »Den anderen Wandbildern kannst du entnehmen, daß die Toltéca ihren Göttern nie Menschen zum Opfer gebracht haben, sondern Schmetterlinge, Blumen, Wachteln und ähnliche Gaben. Die Meisterhandwerker waren ein friedliches Volk, weil ihre Götter friedfertigen und sanften Wesens waren. Einer von ihnen war Quetzalcoatl, jener, der auch heute noch nah und fern von allen Völkern verehrt wird. Die Vorstellung, welche die Toltéca von der Gefiederten Schlange hatten, verrät uns viel über diese Menschen. Nur ein weises und freundliches Volk hat uns einen Gott vererben können, der Erhabenheit und liebevolle Fürsorge in sich vereinigte, findest du nicht? Das furchterregendste und gleichzeitig anmutigste aller Geschöpfe, die Schlange, nicht in ihre harten Panzerringe gehüllt, sondern in das wunderschöne weiche Federkleid des Quetzal Tototl-Vogels.«
    Ich sagte: »Wir haben als Knaben gelernt, die Gefiederte Schlange habe einst wirklich hier in diesem Land gelebt und werde eines Tages wiederkommen.«
    »Jawohl, Kopf Neiger, nach dem, was wir dem entnehmen können, was von den Schriften der Toltéca erhaltengeblieben ist, hat Quetzalcoatl in der Tat hier einst gelebt. Er war einer der ganz frühen Uey-Tlatoáni oder wie immer die Toltéca ihre Herrscher genannt haben, und zwar muß er ein sehr guter gewesen sein. Es heißt, er selber soll die Schrift, die Kalender, die Sternenkarten und die Zahlen erfunden haben, die wir heute benutzen. Es heißt sogar, er habe uns das Rezept für Ahuacamóli und all die anderen Moli-Saucen hinterlassen, obwohl ich mir diesen Quetzalcoatl einfach nicht vorstellen kann, wie er in einer Küche den Koch spielt.«
    Lächelnd schüttelte sie den Kopf, dann wurde sie wieder ernst. »Wie es heißt, sollen die Bauern während seiner Regierungszeit nicht nur weiße Baumwolle auf ihren Feldern geerntet haben, sondern solche in allen möglichen Farben, als ob die Baumwolle bereits eingefärbt wäre. Ein einziger Maiskolben soll so schwer gewesen sein, daß ein Mann ihn gerade eben tragen konnte. Auch soll es in dieser Zeit keine Wüstengebiete gegeben haben, sondern überall Blumen und Früchte in Hülle und Fülle gewachsen sein und die Luft schwer von all den Düften, die sie verströmten …«
    Ich fragte: »Ist es denn möglich, daß er einmal wiederkommt, Gebieterin?«
    »Nun, den Legenden zufolge soll Quetzalcoatl unwillentlich eine so furchtbare Sünde begangen – oder etwas getan haben, was seinen eigenen Verhaltensregeln zuwiderlief-, daß er freiwillig auf seinen Thron verzichtet habe. Er begab sich ans Gestade des östlichen Meeres und baute sich dort ein Floß – aus Federgewirk, behaupten einige, und andere aus ineinander verschlungenen Schlangen. In seinen letzten Worten an die gramgebeugten Toltéca versprach er, eines Tages wiederzukommen. Danach ruderte er davon und verschwand hinter dem östlichen Horizont des Meeres. Seither ist die Gefiederte Schlange zu einem Gott geworden, der von allen uns bekannten Völkern verehrt wird. Und alle Tolteca sind seither gleichfalls verschwunden, und wir warten immer noch auf die Wiederkunft Quetzalcoatls.«
    »Vielleicht ist er schon längst wieder da, warum nicht?« sagte ich. »Die Priester sagen, die Götter weilten oft unerkannt unter uns.«
    »Genauso wie mein Herr Vater«, sagte Schwarze Blume lachend. »Nur glaube ich, daß man die Gefiederte Schlange nicht so leicht für jemand anders halten könnte. Die Wiederkunft einer so ausgeprägten Gottheit würde gewiß ungeheures Aufsehen erregen. Sei gewiß, Kopf Neiger – falls Quetzakoatl jemals wiederkommt, mit oder ohne sein Tolteca-Gefolge, wir werden ihn erkennen.«
    Ich hatte Xaltócan gegen Ende der Regenzeit des Jahres Fünf Messer verlassen, doch abgesehen davon, daß ich mich häufig nach Tzitzitlínis Gegenwart sehnte, war ich so sehr in meine Studien vertieft und genoß ich das Leben im Palast dermaßen, daß ich kaum merkte, wie rasch die Zeit verging. Deshalb war ich baß erstaunt, als Prinz Weide mir sagte, übermorgen sei der erste der kommenden Nemontémtin, der fünf leblosen Tage. Ich mußte an den Fingern nachzählen, ehe ich glauben konnte,

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