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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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brennende Frage im Herzen – beeilte mich, dieser Einladung nachzukommen. Als ich eintrat, weilte ihr Sohn, der Kronprinz, bei ihr, und solange sie über mindere Angelegenheiten der Palastverwaltung redeten, schwieg ich. Als sich in ihrem Gespräch jedoch eine Pause einschlich, faßte ich mir ein Herz und fragte:
    »Ihr stammt aus Tolan und seid dort geboren, Gebieterin, und Tolan war einst eine Stadt der Toltéca. Seid Ihr eine Toltécatl?«
    Mutter und Sohn zeigten Verwunderung, doch dann lächelte sie. »Jeder aus Tolan – jeder Mensch überall in Der Einen Welt – wäre stolz darauf, auch nur einen Tropfen Toltéca-Blut in den Adern zu haben. Doch ayya – ehrlich gesagt kann ich das nicht behaupten. Solange Menschen zurückdenken können, hat Tolan zum Gebiet der Tecpanéca gehört, folglich habe ich Tecpanéca-Blut in den Adern – obwohl ich insgeheim den Verdacht habe, daß auch der eine oder andere Otomitl zu meinen Vorfahren gehört – aus der Zeit, ehe dieses Volk vertrieben wurde.«
    Voller Enttäuschung sagte ich: »Dann läßt sich in Tolan keine einzige Spur von den Toltéca nachweisen?«
    »Wie soll man das bei Menschen mit Sicherheit sagen? Was die Stadt selbst betrifft ja: Da sind die Pyramiden, die Terrassen und die weiten, mauerumschlossenen Höfe. Die Pyramiden sind verwittert die Terrassen brüchig geworden und voller Risse, die Mauern an manchen Stellen eingefallen. Aber die wunderschönen Muster, nach denen die Steine ineinandergefügt wurden, sind immer noch zu erkennen, und hier und da auch noch Flachreliefs, ja gelegentlich sogar noch Reste von Malereien. Die eindrucksvollsten und am wenigsten vom Zahn der Zeit angenagten Dinge sind jedoch die vielen Standbilder.«
    »Götterbilder?« fragte ich.
    »Das glaube ich nicht denn alle weisen sie ein und dasselbe Gesicht auf. Sie sind alle von der gleichen Form und Größe, schlichte, wirklichkeitsgetreue Nachbildungen – nicht so verschnörkelt wie heute. Es handelt sich um zylindrische Säulen, als ob sie einst ein schweres Dach zu tragen gehabt hätten. Nur sind es eben Säulen in Menschengestalt, falls du dir Menschen vorstellen kannst, die dreimal so groß sind wie diejenigen, die wir heute kennen.«
    »Vielleicht sind es Abbilder der Riesen, die nach den Göttern die Erde bevölkert haben«, meinte ich und mußte dabei an den ungeheuerlichen Oberschenkelknochen denken, von dem Neltitica erzählt hatte.
    »Nein, ich glaube, es sind Darstellungen der Toltéca selbst, nur eben überlebensgroß wiedergegeben. Ihre Gesichter blicken weder streng noch grausam, noch hochmütig, wie man es von Göttern oder Riesen erwarten würde. Ihr Ausdruck zeugt von heiterer Wachsamkeit. Viele von diesen Säulen sind in den Staub gefallen und liegen zerbrochen auf dem Boden herum, andere hingegen stehen immer noch auf den Höhen und schauen über das Land hin, als ob sie ruhig und geduldig auf etwas warteten.«
    »Auf was warten, meint Ihr, Gebieterin?«
    »Vielleicht darauf, daß die Toltéca wiederkommen.« Es war Schwarze Blume, der antwortete und seiner Antwort dann ein schrilles Lachen folgen ließ. »Darauf, daß sie von dort wieder auftauchen, wo sie all die vielen Schock Jahre ihre Zeit abgewartet haben. Um machtvoll und wie ein Wirbelwind wiederzukommen, uns Eindringlinge zu unterwerfen und wieder Anspruch zu erheben auf dieses Land, das einst ihnen gehört hat.«
    »Nein, mein Sohn«, sagte die Erste Dame. »Sie waren nie ein kriegerisches Volk und wollten es auch nicht sein; gerade das war ihr Verderben. Könnten sie wirklich einmal wiederkommen, sie kämen in Frieden.«
    Sie nippte an ihrer Schokolade und verzog das Gesicht; das Getränk war schal geworden. Von einem Tisch zu ihrer Seite nahm sie einen aus einem einzigen Stück aromatischer Zeder gearbeiteten Schaumschläger, der aus kleineren und größeren hölzernen Ringen bestand, die locker und leicht klappernd um einen Mittelstab herum aufgezogen waren. Diesen Schaumschläger tunkte sie in ihre Schale, hielt den Mittelstab zwischen den Handflächen und zwirbelte ihn rasch, so daß die Ringe unregelmäßig kreisten und das rote Getränk wieder schaumig und fest wurde. Nachdem sie nochmals einen kleinen Schluck genommen hatte, leckte sie sich den Schaum von der Oberlippe und sagte zu mir:
    »Besuch doch irgendwann einmal die Stadt Teotihuácan, Kopf Neiger,
    und sieh dir an, was dort von den Wandmalereien erhalten geblieben ist. Nur auf einem einzigen ist ein Toltéca-Krieger zu sehen, und

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