Der Azteken-Götze
hinzu. Der Götze war flach gegen das mit Blutspritzern beschmierte Brett gedrückt worden, und deshalb hatte er die beiden aus Federn bestehenden Flügel beim ersten Hinsehen nicht genau erkennen können. Aber sie waren da. Durch den Druck des Körpers waren sie verschoben worden und ragten rechts und links der unheimlichen Gestalt über.
Sein Blick glitt höher, bis er das Gesicht des Götzen erfassen konnte. Es war glatt wie das eines Kindes und schien sogar weich zu sein. Die Haare wuchsen halblang, breiteten sich auch im Nacken aus und ließen beide Ohren verschwinden.
Das Gesicht des Götzen war verzerrt. Der Mund stand halb offen, die Zähne bissen aufeinander. Er hatte den Kopf zur Seite gedreht, und es war nicht genau für Abe zu erkennen, ob seine Augen offen oder geschlossen waren.
Jedenfalls stand er vor ihm. Er hatte ihn gesehen und hätte mit einem derartigen Aussehen nie gerechnet.
Er selbst war kaum in der Lage, seinen Zustand objektiv einzuschätzen, aber er hatte das Gefühl, als wären zahlreiche Messer dabei, seinen Bauch aufzuschneiden.
Plötzlich überkam ihn der Drang, sich umdrehen zu müssen. Er wechselte seinen Platz nicht, bewegte sich dafür sehr langsam und breitbeinig, so daß er sich mit den Füßen, die er zueinander verkantet hatte, abstützen konnte.
Dann schaute er die Treppe hinab und hinein in die Schlucht, und Abe erlebte ein Panorama, das bei ihm trotz seines Zustanties eine Gänsehaut hinterließ.
Davon konnte er sich einfach nicht abwenden, dieser Anblick nahm ihn gefangen, denn in der Tiefe, wo die Fackeln brannten, schien eine andere Welt zu liegen.
Ein Reich, das vom Feuer genährt wurde, wo die Menschen sich wie Zwerge bewegten.
Über ihm hatte der Himmel längst eine tiefblaue Farbe angenommen, die sich deutlich vor den noch dunkleren Felswänden abhob und innerhalb des Ausschnittes auch eine geballte Ladung funkelnder Sterne zeigte, die ihm ebenso weit entfernt vorkamen wie die Chance, sein eigenes Leben noch zu retten.
Er konnte nichts daran ändern, aber dieses Panorama nahm ihn einfach gefangen.
Und der Götze war auch gefangen. Plötzlich dachte er darüber näher nach. Wie Xitopec gefesselt war, wie sollte es ihm dann gelingen, ihn zu töten? Oder war für ihn ein anderes Schicksal vorgesehen?
Ja, das Blut – sein Blut. Er sollte es lassen, mußte es dem Götzen geben, damit der existieren konnte.
Aber wer nahm es ihm ab?
Der Götze?
Bestimmt nicht. Er war gefangen, und es sah auch nicht so aus, als würde er befreit werden.
Der G-man besaß eine gute Kondition. Von seinem Gang über die lange Treppe hatte er sich wieder einigermaßen erholt, nur die Schmerzen in seinem Kopf waren geblieben.
Und dennoch spürte er, daß sich etwas verändert hatte. In seiner Nähe, aber nicht sichtbar.
Hinter ihm…
Douglas drehte sich langsam um – und hörte die Schritte. Vorsichtig gesetzt, dennoch schleifend. Es kam jemand, und diese Person trat hinter der schräg liegenden Plattform des Götzen hervor. Eine Frau – Inez.
Sie lächelte, das konnte sie auch, denn sie war bewaffnet und Abe Douglas somit überlegen. Den rechten Arm hatte sie halb erhoben. Die Finger umspannten den Griff eines scharf geschliffenen Opfermessers, über dessen Klinge der Flammenschein zuckte.
Nun wußte er, wer ihm das Blut abnehmen würde…
***
Wir gingen durch die Stadt, und wir hatten beide das Gefühl, durch eine tote Stadt zu schreiten.
Über den Gebäuden lag die Hitze wie eine dumpfe Glocke. Der Geruch von Staub und Benzin mischte sich zu einem Konglomerat zusammen, das einen Teil des Atems raubte.
Wir wollten nicht über die Straße gehen, nicht durch diesen heißen Panzer und hielten uns auf dem Gehsteig auf, wo die Schatten der Vordächer dunkle Flecken bildeten.
Eine Grenzstadt wie Border Town steckte voller Leben, da quirlte es, da war Betrieb, aber nicht um diese Zeit. Die brütende Hitze hatte alles vertrieben.
Mir rannen die Schweißperlen aus den Nackenhaaren und am Rücken entlang. Manchmal fuhr der Wind sogar unter die Dächer, streichelte unsere Gesichter, aber er brachte keine Kühlung mit, sondern einzig und allein die Hitze des Südens.
Es war ein verfluchter Ort. Eine Stadt, in der ich nicht begraben sein wollte.
Oft genug hockten Gestalten auf dem Boden, mit ihren Rücken gegen die Hauswände gelehnt, die Gesichter unter den breiten Krempen der Sombreros verborgen.
Ich blieb neben einem dieser Männer stehen, stubste ihn an. Der Mann schaute
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