Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
weißt genau, daß ich die Sachen nicht so ausdrücken kann wie du. Ich hab ’ne Vorstellung, was reinmuß, aber schreiben kann das keiner außer dir.«
Am Nachmittag des 30 . April 1971 kamen Jan-Carl Raspe und Holger Meins mit einem dicken Stapel des großformatig gedruckten »Konzept Stadtguerilla« in Margrit Schillers Wohnung. Jan sagte: »Kannst du dir vorstellen, ’nen Packen davon in der Uni auszulegen, ohne daß dich jemand sieht?« Es dürften auf keinen Fall Fingerabdrücke von ihr darauf sein, sie solle den Packen mit Zeitungspapier einwickeln und dann das Papier zum Schluß vorsichtig wegziehen. Es müsse zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt ablaufen, an anderen Stellen würden andere Genossen dasselbe tun. Mit Herzklopfen erledigte sie ihre revolutionäre Aufgabe. Dann kehrte sie nach Hause zurück.
Auch in ihrer ersten Phase bei der RAF ging Margrit Schiller weiter zum SPK , diskutierte dort nächtelang über den Imperialismus und die Auswirkungen für den einzelnen. Sie bemerkte, wie sich in ihr Wut und Haß entwickelten, und nahm an, daß alle ihre vorherigen Leiden und Depressionen ein Ergebnis des weltweiten Imperialismus und des Kapitalismus waren. Dagegen half nur revolutionäre Gewalt: »Aus dem Leiden die Kraft zum Kampf entwickeln. Den Stein meiner Einsamkeit und Verzweiflung am Leben aufheben und ihn gegen seine Ursache werfen. Die Ursache war die kapitalistische Gesellschaftsordnung.«
Margrit Schiller gehörte zu den wenigen, die später so offen ihre persönliche psychologische Lage analysierten und als Auslöser für die revolutionären Gewaltphantasien und -aktionen erkannten. Doch der Mechanismus zwischen der Depression und ihrer aktiven Überwindung war bei vielen RAF -Mitgliedern ähnlich: der Akt der Befreiung im Akt der Vernichtung.
Die Sprache der Flugblätter, so erkannte Margrit Schiller, wurde immer schärfer: »Die Revolution mußte heute gemacht werden, und wer das nicht verstand, war ein Dummkopf oder ein Ausbeuter. Wir verachteten alle Linken, die das nicht genauso sahen.«
Zahlreiche Mitglieder des SPK wurden verhaftet. Für Margrit Schiller wurde klar, sie wollte alle Brücken abbrechen und zur RAF gehen. »Ich wußte, wohin mich mein Weg nun führte: nach Hamburg in die Wohnung am Mexikoring.«
Gleich am ersten Tag ihres Aufenthaltes in Hamburg erschien Holger Meins. Er sagte ihr, daß die RAF die Wohnung schon eine ganze Weile nicht mehr benutzt habe, weil sie sich fragten, ob Margrit Schiller nicht inzwischen von der Polizei überprüft worden sei. Er führte sie zu einer anderen Wohnung. Die Vorhänge an den Fenstern waren Bahnen aus dunklem Stoff. Gudrun Ensslin und Andreas Baader tauchten auf. Baader war schlecht gelaunt und raunzte sie an: »Dann schieß doch mal los, was du jetzt willst. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, hier einfach bei uns aufzukreuzen?« Im Halbdunkel saß Margrit Schiller und versuchte, ihre Situation zu erklären. Ein Observationswagen habe vor ihrer Tür gestanden. Sie habe Angst gehabt, verhaftet zu werden. Das könne ja ein akzeptabler Grund sein, entgegnete Andreas, aber sie müsse auch wissen, was sie eigentlich in der Gruppe wolle: »Hast du irgendeine Aktion im Sinn, die du gut fändest?« Baader wurde immer ungeduldiger: »Dann sag doch mal, was du politisch über uns denkst. Was hast du denn für eine Analyse der Situation? Erzähl doch mal.«
Margrit fiel kaum etwas ein, und Baader wurde sauer. Er lief im Zimmer auf und ab, rauchte seine Gauloises und fuhr sie an: »Bist du ’ne blöde Tante, meinst, bei uns könnte man einfach so eintreten. Was denkst du denn, wer wir sind? Meinste, das ist ein Kinderspiel, was wir machen? Es kann doch nicht sein, daß du sonst dazu nichts im Kopf hast!« Margrit Schiller wehrte sich schwach, und nach endlosem Hin und Her meinte Baader genervt und wütend: »Wenn’s nicht real wäre, daß sie dich hochnehmen könnten, würden wir dich heute noch nach Heidelberg zurückschicken. Was sollen wir jetzt mit dir machen? Verdammte Scheiße. Das kann ja nichts als Probleme geben.«
Margrit Schiller durfte ein paar Tage in der Wohnung bleiben. Dann holte Holger Meins sie ab. Gemeinsam fuhren sie mit dem Auto nach Frankfurt. Sie wohnte in der legalen Wohnung einer Frau, die mit der RAF sympathisierte. Nachts zog sie mit Holger Meins durch die Stadt, und er zeigte ihr, wie man am besten Autos klaute. Noch hatte Margrit Schiller, im Gegensatz zu ihrem nächtlichen Begleiter, keine Waffe.
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