Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Hand. Dann kam Soko-Chef Textor und hielt Jünschke eine Pistole an den Hals. Zum Schein wurde auch Conny ergriffen, mit einer Waffe bedroht und in Handschellen abgeführt.
Auf der Polizeiwache wurden ihm die Handschellen wieder abgenommen, und es ging zurück zum Kiosk. Um halb drei kam niemand, eine Stunde später auch nicht. Als Textor schon das Zeichen zum Abbruch der Aktion gegeben hatte, tauchte plötzlich Irmgard Möller auf. Fast hätte Conny sie nicht erkannt, denn »Gabi« hatte ihr Aussehen völlig verändert. Sie trug die Haare kurz und sah aus wie eine adrette Sekretärin. Sie hatte ihr Portemonnaie in der Hand und kramte darin herum. Conny tat so, als würde er sie nicht kennen. Als sie ihn ansprechen wollte, sagte er: »Paß auf, hier hat’s ’ne Menge Bullen.« Dann wollte er weggehen. Sie ging ein Paar Schritte neben ihm her.
Textor hatte jedoch erkannt, daß sein Lockvogel ein Gruppenmitglied getroffen hatte. Zusammen mit fünf anderen Polizeibeamten rannte er auf die Frau zu. Dem ersten, der sie packen wollte, trat Irmgard Möller vors Knie. Dann warfen sich die übrigen Beamten auf sie. Irmgard Möller wehrte sich verzweifelt, schrie »Ihr Schweine«, biß und kratzte. Zum Schein war Conny inzwischen von zwei Polizisten mit drohend erhobenen Pistolen gegen die Wand des Kiosks gedrängt worden.
Zwei Monate später wurde Hans-Peter Konieczny aus der Haft entlassen. Von da an mußte er sich »zur Verfügung halten«, denn »befreundete Dienststellen« wollten mit ihm plaudern.
3. Kapitel »Die Kostüme der Müdigkeit«
1. »Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat«
Getrennt voneinander und vom normalen Anstaltsbetrieb isoliert verbrachten die RAF -Gefangenen das erste Jahr ihrer Haft: Andreas Baader in Schwalmstadt, Gudrun Ensslin in Essen, Holger Meins in Wittlich, Irmgard Möller in Rastatt, Gerhard Müller in Hamburg und Jan-Carl Raspe in Köln.
Ulrike Meinhof saß in einer Zelle in Köln-Ossendorf, in der zuvor Astrid Proll untergebracht war. Das Gebäude war sonst vollkommen leer. Der Raum war weiß gestrichen und hatte eine hellgrüne Tür. Die Neonbeleuchtung blieb Tag und Nacht angeschaltet. Erst nach schweren Auseinandersetzungen erreichte Ulrike Meinhof, daß die Röhre am Abend gegen eine schwächere ausgetauscht wurde.
Astrid Proll war in das Nachbargebäude verlegt worden, in den Männertrakt. Sie wußte, daß Ulrike Meinhof in ihrer alten Zelle saß. Die Gefängnisbeamten unternahmen alles, um zu verhindern, daß die beiden einander sehen oder hören konnten. Wenn Astrid Proll zum täglichen Hofgang geführt wurde, wozu sie eigentlich Ulrike Meinhofs Zelle hätte passieren müssen, schlugen die Beamten einen weiten Umweg durch das Gefängnisgelände ein. Über ihre Anwälte ließ Astrid Proll ausrichten, wann sie ins Bad geführt wurde, das in der Nähe von Ulrike Meinhofs Zelle war. Auf dem Boden liegend brüllte Ulrike laut durch den Türschlitz: »Astrid!« Daraufhin stellten die Wärter an jedem Badetag einen Staubsauger oder einen Wasserhahn an, um auch solche Kontaktaufnahme zu verhindern.
Vom 16 . Juni 1972 bis zum 9 . Februar 1973 blieb Ulrike Meinhof in diesem »toten Trakt« der Vollzugsanstalt Ossendorf. Als in der Öffentlichkeit bekannt wurde, daß sie einer fast totalen akustischen Isolation unterlag, versicherten die Behörden, es gebe keinen »toten Trakt«.
Anstaltsleiter Bücker beschrieb die Haftbedingungen in einem Brief an den Präsidenten des Justizvollzugsamtes Köln so: »Bekanntlich ist die Untersuchungsgefangene Meinhof im Frauentrakt der psychiatrischen Untersuchungsabteilung untergebracht. Während die Untersuchungsgefangene Proll im Männertrakt der Untersuchungsabteilung zumindest akustisch an dem Leben in der Anstalt teilnehmen kann, ist die Gefangene Meinhof in ihrem Haftraum auch akustisch isoliert.«
Besuch durfte Ulrike Meinhof während ihres achtmonatigen Aufenthalts in der »stillen Abteilung« nur von Verwandten empfangen, und auch das nur etwa alle vierzehn Tage für jeweils eine halbe Stunde – unter Bewachung.
Während sie allein in ihrer Zelle saß, schrieb sie ihre Empfindungen nieder:
»Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf.
Das Gefühl, die Schädeldecke müßte eigentlich zerreißen, abplatzen. Das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt … Das Gefühl, die Zelle fährt. Man wacht auf, macht die Augen auf: die Zelle fährt, nachmittags, wenn die Sonne reinscheint, bleibt
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