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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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sie plötzlich stehen. Man kann das Gefühl des Fahrens nicht absetzen …
    Rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das schlimmste. Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat. Völliges Scheitern, das zu vermitteln. Besuche hinterlassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war.
    Einmal in der Woche baden dagegen bedeutet: einen Moment auftauen, erholen – hält auch für ein paar Stunden an –
    Das Gefühl, Zeit und Raum sind ineinander verschachtelt …«
    Manchmal hielt Ulrike Meinhof das Schweigen nicht mehr aus, und sie redete mit den Vollzugsbeamten. Auf einen Zettel tippte sie: »Es stimmt gar nicht, daß ich noch nie mit den Krähen geredet hätte. Als ich in dem Loch mit dem Antisemitismusproblem nicht weiterkam, keine Bücher und tausend Fragen, habe ich angefangen, die Wärter zu fragen. Sie wußten ’ne Menge von dem, was ich wissen wollte, und kamen auch ins Nachdenken, und der eine Bulle versprach auch, in seinem Lexikon zu Hause nachzulesen, was ich wissen wollte. Als ich ihn am nächsten Tag fragte, hatte er es natürlich vergessen. Was geblieben war, die Einbildung, man könne mit mir quatschen. Daraufhin hab ich’s abgebrochen. Man behandelt sie wie Hunde, oder sie behandeln einen wie’n Hund.«
    Die RAF hatte sich in der Haft einen Verhaltenskatalog aufgestellt:
    »Kein Wort zu den Pigs, in welcher Verkleidung sie auch immer ankommen, vor allem: Ärzte. Kein einziges.
    Natürlich auch keine einzige Handreichung, keinen Finger für sie krumm machen, nichts, nur Feindschaft und Verachtung …
    Keine Provokationen, das ist wichtig. Aber sich unversöhnlich, unerbittlich bis zum Äußersten verteidigen mit der Methode Mensch.«
     
    Margrit Schiller, kurzzeitig weich geworden, meinte hinterher selbstkritisch: »Auf den Einkaufszettel hatte ich geschrieben: Schnittlauch, Petersilie. Daraufhin kam die Obersau. Sagte: Hat der Kaufmann nicht, aber ich habe zu Hause einen Garten, da kann ich Ihnen die Kräuter mitbringen, wollen Sie? Ich wurde rot, sagte ja, am nächsten Tag brachte sie ’nen Blumentopf mit eingepflanztem Schnittlauch mit, ich wurde rot, grinste. Da stand er Monate unberührt auf dem Flur vor meiner Zelle. Ich versuchte immer, darüber wegzusehen. Diese Obersau hat meine Kollaborationsbereitschaft getestet, und ich habe kollaboriert.«
     
    Ulrike Meinhof ließ sich auf eine handfeste Auseinandersetzung mit einer Justizbeamtin ein und meinte anschließend selbstkritisch: »Zuletzt, vor’n paar Tagen, hab’ ich ’ner Bullenfotze hier die Klobürste auf’m Kopf zerhauen. Die alte Scheiße: nur an mich dabei gedacht – ich wollte mir Luft verschaffen in diesem fight – Selbstkritik, hab’ die Folgen nicht überlegt, was die Bullen damit gegen uns RAF machen können.«
     
    Jan-Carl Raspe notierte in seiner Zelle handschriftlich: »Als ich hier reinkam, hatte ich nur einen Gedanken im Kopf: Widerstand leisten, wo es geht, um nicht kaputtgemacht werden zu können … Dieser eine Gedanke wurde zu einer Frage ziemlich bald: wie, um alles in der Welt. Und daran bin ich völlig verrückt geworden, daran, diese Frage nicht beantworten zu können.«
     
    Horst Mahler wurde konkret: »Wir können schreien, singen, gegen die Tür treten, mit Tassen und Schüsseln schmeißen, beim Pol.-Inspektor den Schreibtisch umschmeißen und vieles mehr. Wir riskieren, daß sie uns dabei auch zusammenschlagen. Das nehmen wir in Kauf … Mich stinkt dieser passiv-masochistische Widerstand gewaltig an …«
     
    Andreas Baader lehnte individuelle Formen des Widerstandes ab. »Genau darauf ist die Maschine eingerichtet, und genau das gibt ihnen die Möglichkeit, einzelne fertigzumachen«, antwortete er auf Horst Mahlers Vorschläge. »Unternimm so was nur, wenn du’s brauchst.«

2. Schwarzer September
    »Heitere Spiele« hatten es werden sollen. Am 5 . September 1972 , morgens um 4 . 30 Uhr, kletterte ein Kommando der palästinensischen Terrororganisation »Schwarzer September« über den Zaun des Olympischen Dorfes in München, drang in das Quartier der israelischen Mannschaft ein und erschoß zwei der Sportler. Neun andere wurden als Geiseln genommen. Das Kommando verlangte die Freilassung palästinensischer Gefangener in Israel.
    Während die Spiele fortgesetzt wurden, umstellten Polizisten das Olympische Dorf. Vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern in aller Welt

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