Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
werden Typen dabei kaputtgehen …«
Der Hochsicherheitstrakt in Stammheim war mit großem Aufwand für die RAF -Gefangenen vorbereitet worden, die Vollzugsbeamten waren es nicht. »Uns schwante, daß Baader, Meinhof und die anderen einen neuen Typ von Häftling verkörperten«, sagte später Horst Bubeck seinem Biographen Kurt Oesterle. »Vom Staat waren wir beauftragt, sie zunächst bis zum Ende der Hauptverhandlung bei uns aufzunehmen – wohlbewacht und wohlbewahrt, wie es vom Vollzug erwartet wird.« Die Beamten ahnten: »Das wird nicht schön.«
Am 28 . April 1974 war es soweit. Es war ein Sonntag. Bubeck wartete im siebten Stock auf die Ankunft des Hubschraubers, der die Gefangenen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin bringen sollte. Die vor ihrer Ankunft gemachten Aufnahmen von den Zellen 718 und 719 bewiesen, daß diese sauber, hell und freundlich waren. Zwei Kollegen begleiteten ihn auf den Hof, wohin ein Kleinbus die beiden Frauen vom Hubschrauberlandeplatz aus bringen sollte. Ein großes Polizeiaufgebot mit Dokumentationstrupp stand bereit, um den historischen Moment zu sichern und zu filmen.
Als erste stieg Ulrike Meinhof aus dem Wagen. Bubeck sagte: »Guten Morgen, Frau Meinhof.« Die Gefangene blickte ihn an und ging ihm wortlos und leicht taumelnd entgegen. Sie war mager. Als sie merkte, daß sie gefilmt wurde, versuchte sie, mit ihren gefesselten Händen auf den Kameramann einzuschlagen. Der wich aus und filmte weiter. Ulrike Meinhof schwankte wieder auf den Weg zurück, holte mit dem Bein aus und trat dem Vollzugsbeamten Bubeck in den Unterleib.
Gudrun Ensslin stieg aus und ging mit gesenktem Kopf, ohne die Beamten anzusehen, in das Gefängnisgebäude. Bubeck fragte den Anführer des Dokumentationstrupps, was denn die Filmerei solle. Der antwortete, die Polizei wolle alles im Bild festhalten, falls Anwälte oder Presse irgendwelche Vorwürfe erheben sollten: »Wir haben sie heil abgeliefert. Jetzt sind sie in eurer Hand.«
Durch eine »Hausverfügung« wurden die Haftbedingungen für die Frauen festgelegt. Danach mußten ihre Zellen 718 und 719 im siebten Stock der Anstalt »Tag und Nacht unter doppeltem Verschluß« gehalten werden. Bei der Öffnung der Zellen hatten jeweils zwei männliche und eine weibliche Bedienstete anwesend zu sein. Privatwäsche und Privatkleidung der Häftlinge waren zugelassen. Das Essen wurde den Stationsbeamten gegen Unterschrift in der Küche ausgegeben.
Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof durften täglich auf der überdachten Terrasse über dem siebten Stock des Anstaltsgebäudes gemeinsam ihren eineinhalbstündigen »Hofgang« machen. Während des Tages konnten sie sich für jeweils vier Stunden zusammen in einer Zelle einschließen lassen.
Ihre Zellen waren jeden Tag »besonders gründlich« zu durchsuchen. In unregelmäßigen Abständen sollte eine Leibesvisitation vorgenommen werden. Bis 20 . 00 Uhr hatte eine Justizbeamtin mindestens einmal in der Stunde einen Blick auf die Gefangenen zu werfen. Zweimal wöchentlich, »jedoch nicht an Samstagen, Sonn- und Feiertagen«, durfte gebadet werden. Die Häftlinge waren von allen Gemeinschaftsveranstaltungen »einschließlich des Kirchgangs« ausgeschlossen. Besuche waren nur Angehörigen und Anwälten erlaubt.
Baader blieb vorerst in Schwalmstadt, Holger Meins in Wittlich und Jan-Carl Raspe in Köln.
Über mehrere Monate bereiteten die Gefangenen einen neuen Hungerstreik vor, den dritten. Es sollte der längste und härteste werden.
»Ich denke, wir werden den Hungerstreik diesmal nicht abbrechen. Das heißt, es werden Typen dabei kaputtgehen …«, schrieb Baader.
Ziel war die Zusammenlegung der Gefangenen zu großen Gruppen. Dabei ging es aber um mehr als nur die Aufhebung der Isolation. Prozesse standen an.
Baader schrieb: »Sicher ist, daß wir den Hungerstreik so anlegen, daß die Gefangenen in seiner Folge verhandlungsunfähig werden.«
In einem weiteren Papier schrieb er: »Die Perspektive sind Explosionen im Gefängnissystem.«
Und in einem Info-Beitrag, vermutlich von Gudrun Ensslin, hieß es: »Eine Waffe wird der Hungerstreik nur, wenn klar ist, daß er durchgehalten wird, bis seine kollektive Forderung erfüllt ist – auch wenn es Kranke und Tote gibt.«
Die Ziele, so wiederum Baader, müßten so formuliert sein, daß »sich jeder Rocker und auch jeder, der seine Alte abgejakst hat, darin findet«.
Am 27 . August 1974 wurde Ulrike Meinhof aus Stammheim vorübergehend zum Prozeß nach
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