Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
verschlüsseltes Tagebuch »Isabella und ich«. Darin kommt Bernward über sie: »Wolf, der das Lamm zerbricht, abhäutet, tötet, das helle Blut trinkt.« Sie macht sich Vorwürfe, daß sie ihn »noch immer nicht genug liebt«, daß sie »unfähig zur Selbstaufgabe« ist. Sie bettelt um »eine letzte Chance« – bis Wolf sich ihrer wieder erbarmt und ihren »Schoß erbricht« und sie eine Liebe lehrt, »so groß, bis das kleine Heupferd nicht mehr zu klein ist. Alles tut für dich. Auch töten.«
Zehn Jahre später, 1972 , wurde aus den sado-masochistischen Phantasien blutige Wirklichkeit.
Sie waren eingetaucht in das Leben der revoltierenden Studenten – nicht anders als viele, für die die antiautoritäre Bewegung der sechziger Jahre gleichbedeutend war mit Befreiung – politischer und persönlicher.
Es scheint, als sei das, was später geschah, nicht zu verstehen, ohne einen Blick auf den protestantischen Hintergrund zu werfen. Der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Pfarrer Heinrich Albertz, sagte, es sei »eine der höchst gefährlichen Nebenerscheinungen des evangelischen Pfarrhauses, daß dort solche Menschen wachsen. Das kann was ganz Großartiges werden, das Böse kann ja auch großartig sein, oder das Großartige böse. Und die … kommen dann … auf die irrsinnigsten Ideen und glauben, daß sie mit Gewalt in einem Lande, in dem es noch nie eine Revolution gegeben hat und wahrscheinlich auch nie eine geben wird, etwas ändern können.«
8. Der Protest
Ende der fünfziger Jahre wurden in der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft absonderliche Figuren gesichtet: junge Männer mit langen Haaren und in abgewetzter Kleidung, die trampend durch Westeuropa fuhren und in Paris, Amsterdam, München, Hamburg, Kopenhagen oder Stockholm Freunde gleicher Gesinnung an Treffpunkten fanden, die der normale Bürger mied. Die Mädchen, die mit ihnen zogen, lehnten ab, was der Markt an Mode und Kosmetik anpries. Die jugendlichen Abweichler arbeiteten nicht, sie kümmerten sich nicht um offizielle Politik, sie schliefen tagsüber und waren nachts unterwegs. In ihrem Handgepäck waren die ersten Haschischpäckchen, die nach Tramptouren durch Nordafrika auch den Norden Westeuropas erreichten.
Mit dem »American Way of Life« war auch sein Widerspruch in Westeuropa angekommen: der Protest gegen Wohlstand, Überfluß und Konformismus. »On the Road« – »Unterwegs« – war der Titel eines Romans von Jack Kerouac, der erst in den USA und bald auch in Westeuropa zum Kultbuch wurde.
Die wesentlichen Grundzüge der späteren Jugendrevolte, der Protestbewegung, der Studentenrebellion, der neuen sozialen Bewegungen klangen in den Manifesten der Beat-Generation an. Im Mittelpunkt der Ablehnung standen die bedrohliche Möglichkeit der atomaren Selbstzerstörung, die antikommunistische Hexenjagd der McCarthy-Ära, die Konsumideologie, Profitgier und Eigennutz: »wo Millionen einander auf der Jagd nach Dollars drängen und stoßen: raffend, grabschend, gebend, seufzend, sterbend, in einem verrückten Traum«.
Der Konsens der Nachkriegsgesellschaft leuchtete ihnen nicht mehr ein, »daß man Produziertes verbrauchen soll und daher arbeiten muß, um überhaupt konsumieren zu dürfen, das ganze Zeug, das sie eigentlich nicht haben wollten … alle gefangen in einem System von Arbeit, Produktion, Verbrauch, Arbeit, Produktion, Verbrauch« (Kerouac).
Anfang der sechziger Jahre empörte sich die deutsche Öffentlichkeit über die Nachfolger der amerikanischen Beatniks, die sichtbar und provozierend in den Citys der Großstädte auftauchten. Langhaarig, mit ungewaschenen und angefetzten Klamotten. Auch Kanzler Ludwig Erhard meldete sich dazu: »Solange ich regiere, werde ich alles tun, um dieses Unwesen zu zerstören.«
Im Sommer 1962 sollten zwei Gitarrenspieler auf der Münchner Leopoldstraße wegen ruhestörenden Lärms festgenommen werden. Jugendliche versuchten, die Festnahme zu verhindern. Die Polizei rückte mit einer Hundertschaft an und prügelte los. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht vom Einsatz der Polizei in der Stadt. Tausende von Jugendlichen zogen in Richtung Schwabing. Immer neue Hundertschaften von Polizisten wurden aus den Kasernen zum Kampfplatz abkommandiert. Vier heiße Juninächte tobte die Schlacht mit der Polizei; sie ging als »Schwabinger Krawalle« in die Geschichte ein.
Andreas Baader hatte sich an den Prügeleien in München beteiligt.
9. Andreas Baader geht
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