Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
Vom Netzwerk:
gewachsen bin. Und das ist der Punkt: … weil objektiv … dem überhaupt nur ein altes Schwein gewachsen sein kann.« An den Rand kritzelte Gudrun Ensslin: »Ich habe genug.«
    Die Beziehungen, vor allem zwischen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, waren in diesem Frühjahr 1976 offenbar auf dem Nullpunkt. Während die Gruppe im Prozeß nach außen hin Einheit demonstrierte, bekämpften sich die beiden Frauen in der Haftanstalt voll Erbitterung. Bei einem Besuch ihrer Schwester am 29 . März hatte sich Ulrike Meinhof – nach Aufzeichnungen der für die Besuchsüberwachung zuständigen Kriminalbeamten – darüber beklagt, daß die übrigen Gruppenmitglieder ihr falsche Informationen gäben oder sie völlig davon abschnitten.
    Vor allem die Kritik an ihrer Arbeit als »Stimme der RAF « und Gudrun Ensslins eigenmächtige Veränderung ihrer Briefe und Texte, die sie wohl eher als Zensur verstand, schürten den Konflikt.
    »Angst ist reaktionär«, überschrieb Ulrike Meinhof einen ihrer Briefe an die anderen.
    »Das einzige, was mich schon ziemlich lange hindert, vorzuschlagen, daß Jan statt Gudrun mein Zeug kontrolliert, ist Angst. Ich glaube nicht, daß sie sie besser aushält als ich. Ich blick da nicht durch oder will da nicht durchblicken. Es geht mich nichts an.
    Aber ich halte es nicht aus.«
    An Gudrun Ensslin schrieb sie: »Es geht nicht. Entweder Du würgst mir, wenn ich mal Luft kriege, was rein, was tage- und wochenlang wirkt, oder, so kommt es mir vor, Du erstickst. Das ist die Struktur, in der wir nach wie vor zappeln und in der ich dauernd am Rand bin, ihr Provokateur zu sein, was ich bin, wenn ich einknicke: ein Kretin ist ein Provokateur. Das ist objektiv. So geht es auch nicht um einen Vorwurf, eben nicht um Schuld. Aber das alles schreit nach Lösung.«
    Gudrun Ensslin an die anderen:
    »Ich sehe das so:
    1 . gibt es die Tatsache, daß ich zu oft nicht kritisieren kann,
    2 . gibt es die Tatsache, daß Ulrike von mir nicht kritisiert werden will und ob überhaupt von irgendeinem Menschen außer Andreas – mal sehen.«
    Ulrike Meinhof antwortete ihr: »Ich weiß nicht, warum Du das machst, Dich auf Fehler von mir zu stürzen und davon immer wieder anfangen. Ich halte das nicht aus.«
    Gudrun Ensslin dazu: »Ich bin keine Hexe. Aber ich bin inzwischen manchmal brutal.« Über Ulrike Meinhofs »Wühlen in der Scheiße« schrieb sie: »Was Du mit diesem Rattendreh vermitteln kannst, ist nur, daß Du dieses Transportmittel benutzt, weil Du kaputt sein willst.«
    So sah es also Gudrun Ensslin: Ulrike Meinhof
wollte
kaputt sein. Vielleicht war »Kaputtsein«, war die Selbstzerstörung tatsächlich für sie der einzige Weg, aus der Kampfgemeinschaft »Rote Armee Fraktion« auszusteigen. Zweifel, »Wühlerei in der Scheiße« konnten bei Gudrun Ensslin, die Zweifel nicht hochkommen ließ, nur »Desinteresse und Kälte«, wie sie es formulierte, hervorrufen. Zweifel war persönliches Versagen, war Verrat. Oder, wie sie schon ein Jahr zuvor an Ulrike Meinhof geschrieben hatte: »Du machst den Bullen die Tür auf – das Messer im Rücken der RAF : bist Du, weil Du nicht lernst …«
     
    Die weiteren schriftlichen Auseinandersetzungen im siebten Stock der Vollzugsanstalt Stammheim liefen nicht einmal mehr direkt zwischen den beiden Frauen ab. In einem Brief an Baader schrieb Gudrun Ensslin über einen Streit mit Ulrike Meinhof im Prozeßgebäude:
    »Dann bin ich geplatzt und habe ihr erklärt, daß sie das lassen soll, mich anzufallen, elitär zu sein und mir gleichzeitig verbieten zu wollen, mich zu wehren.
    Da stand sie kochend auf und ging zur Tür, und ich hatte wirklich gebrüllt vor Wut. Gesagt, ob sie denn nicht merken würde, daß sie will, daß ich kippe – mit dieser Methode: Hammer, um dann die Unschuld zu spielen.«
    Ulrike Meinhof schrieb:
    »Das ist nicht mystisch, wenn ich sage, ich halte das nicht mehr aus.
    Was ich nicht aushalte, ist, daß ich mich nicht wehren kann. Also, es laufen einfach ein Haufen Sachen durch, ich sage nichts, aber ich knalle an die Decke, über ihre Gemeinheit und Hinterhältigkeit.
    Und es kommt mir so vor, als wäre das längst ein Deal, den ich aber nicht mitmache.
    Gudrun weiß, daß ich nichts sage, wenn sie lügt. Es bleibt auch dabei, aber ich halte es nicht aus.
    Wie soll ich je zu mir kommen, wenn ich gleichzeitig gezwungen bin, mit dem Schweinebild, das sie von mir im Kopf hat, zu koexistieren?« Als Gudrun Ensslin diesen Brief gelesen hatte,

Weitere Kostenlose Bücher