Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
gefahren. Der Schütze muß ein anderer gewesen sein.
Peter-Jürgen Boock sagte: »Es gab ein paar Leute in der Gruppe, die diese militärische Ausbildung im Jemen sogar zweimal hintereinander durchlaufen haben, weil eben nicht alle gleichzeitig dort eintrafen. Und Stefan Wisniewski gehörte dazu.«
Auch eine andere Tatbeteiligte, Verena Becker, wies auf Stefan Wisniewski als Mordschützen hin. Das Urteil lautete später auf gemeinschaftlichen Mord. Die individuelle Schuld zählte weder für die Anklage noch für die Gruppe selbst. Es war immer das Kollektiv, das gemordet hat.
Silke Maier-Witt sagte dazu: »Ich glaube, daß ich es damals auch nicht abgelehnt hätte, so was zu tun. Also, in der Art und Weise, wie ich drauf war, so mit Abgabe des eigenen Denkens, also des kritischen Denkens. Ja, also, das war ja irgendwie völlig weg.«
Die Trauerfeier für den ermordeten Generalbundesanwalt Siegfried Buback wurde zu einem Begräbnis mit militärischen Ehren, bewacht und gesichert wie kaum ein Ereignis zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der Alptraum terroristischer Gewalt wurde beantwortet mit einem Alptraum polizeilicher Präsenz. Bilder, die schmerzhaft zeigten, wie der Terror der vergangenen sieben Jahre die Republik verändert hatte.
Die neue Generation der RAF kannte offenbar keine Skrupel mehr, gab sich selbst kaum noch den Anschein eines politischen Anspruchs. Und doch führte eine Linie vom frühen »Konzept Stadtguerilla« der ersten Generation der RAF bis zu den Morden und Entführungen des Terrorjahres 1977 .
42. Am Ende ein Geisterprozeß
( 191 . Tag, 21 . April 1977 )
Der vorletzte Prozeßtag. Weder die Angeklagten noch einer ihrer Vertrauensverteidiger waren im Gerichtssaal erschienen.
Dr. Foth gab den »Zwangsverteidigern« das Wort zu ihren Schlußvorträgen.
Rechtsanwalt Schwarz plädierte eine Dreiviertelstunde lang und beantragte die Einstellung des Verfahrens.
Dann plädierte der zweite »Zwangsverteidiger« des Angeklagten Andreas Baader. Rechtsanwalt Schnabel sprach dreißig Minuten und bat das Gericht, eine gerechte Entscheidung zu treffen.
Rechtsanwalt Grigat, als Verteidiger von Jan-Carl Raspe, plädierte ebenfalls dreißig Minuten und stellte den Antrag auf Einstellung des Verfahrens.
Raspes zweiter »Zwangsverteidiger«, Rechtsanwalt Schlägel, sprach ebenfalls eine halbe Stunde lang und beantragte, den Prozeß wegen Verfahrensmängeln einzustellen.
Da Rechtsanwalt Künzel als Verteidiger von Gudrun Ensslin nicht erschienen war, plädierte Rechtsanwalt Dr. Augst als einziger »Zwangsverteidiger« für die Angeklagte. Auch er beantragte, das Verfahren einzustellen.
Dann ging alles ganz schnell. Um den Vorschriften der Strafprozeßordnung gerecht zu werden, schickte der Vorsitzende Richter einen Justizbeamten zu den Angeklagten, um sie zu fragen, ob sie die Gelegenheit für das letzte Wort in der Hauptverhandlung wahrnehmen wollten.
Die Gefangenen erklärten vor vier Zeugen, daß sie auf das Schlußwort verzichteten.
»Im Hinblick auf diese Erklärung schließe ich für heute die Verhandlung«, sagte Foth. »Fortsetzung wird sein am Donnerstag, den 28 . April 1977 . Die Fortsetzung kann in der Verkündung des Urteils bestehen.«
43. Das Urteil
( 192 . Tag, 28 . April 1977 )
Der Vorsitzende Richter Dr. Foth verkündete das Urteil:
»Im Namen des Volkes!
Die Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe sind schuldig, folgende Taten jeweils gemeinschaftlich begangen zu haben:
a) drei tateinheitliche Morde in Tateinheit mit sechs versuchten Morden,
b) einen weiteren Mord in Tateinheit mit einem versuchten Mord.«
Zusätzlich hielt das Gericht die drei Angeklagten weiterer 27 versuchter Morde für schuldig, in Tateinheit mit Sprengstoffanschlägen.
Baader und Raspe wurden jeweils zweier zusätzlicher Mordversuche schuldig gesprochen, Gudrun Ensslin eines zusätzlichen Mordversuches.
»Die Angeklagten sind schuldig, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben.«
»Jeder der drei Angeklagten wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.«
44. Das sicherste Gefängnis der Welt
Zwei Tage nach der Urteilsverkündung besuchte der Leiter der Vollzugsanstalt Stammheim, Dr. Nusser, den Gefangenen Baader in seiner Zelle. »Das Justizministerium hat sich entschlossen, eine gewisse Konzentration von Gefangenen vorzunehmen«, sagte der Anstaltsleiter. »Es ist an Gefangene, die in Baden-Württemberg einsitzen, und
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