Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Plattenspieler eine aus Büroklammern zurechtgebogene Haltevorrichtung, mit deren Hilfe Baader darin offenbar die Pistole, eine ungarische FEK , befestigt hatte.
Der Stellvertretende Anstaltsleiter Schreitmüller später: »Jetzt wissen wir, daß Baader die Pistole wahrscheinlich in seinem Plattenspieler drin hatte. So wanderte die Waffe zwischen uns und Baader hin und her. Heute kann man darüber nur den Kopf schütteln, aber damals kam keiner darauf, daß die Waffe drin sein könnte.«
Auch Jan-Carl Raspe wurde an diesem 4 . Oktober, zwei Tage nach der Festnahme des Waffenkuriers Volker Speitel, verlegt. Er kam von Zelle 718 in die Zelle 716 . Ausgerechnet in dieser Zelle, so stellte sich später heraus, war in einem Hohlraum in der Wand eine zweite Waffe versteckt, die Neun-Millimeter-Heckler & Koch, mit der sich Raspe später erschoß.
Der Zufall wirkte fast wie ein ausgeklügelter Plan: Zunächst wird Baader aus seiner Zelle ( 719 ), in der keine Pistole versteckt ist, verlegt in eine Zelle mit Pistole ( 715 ). Sein Plattenspieler wird ihm abgenommen und durchsucht. Dann wird ihm sein Plattenspieler wieder ausgehändigt. Darin kann er die Pistole verstecken und unbehelligt mitnehmen, als er in seine alte Zelle ( 719 ) zurückkehrt. Zum selben Zeitpunkt wird Raspe aus Zelle 718 ausgerechnet in jene Zelle ( 716 ) verlegt, in der eine zweite Pistole verborgen ist.
Und noch eine merkwürdige Folge hatte die Verlegung hin und zurück. Die Kommunikationsanlage, die aus zwei Systemen, den Drähten für den Anstaltsrundfunk und den Drähten für die Trockenrasierer, bestand, konnte nur in zwei Zellen miteinander verbunden und damit voll funktionsfähig gemacht werden: 718 und 719 . Nach der ersten Verlegung konnte Baader in Zelle 715 die Systeme nicht mehr koppeln, dafür aber Raspe in 718 . Als Baader wieder in 719 war, konnte er statt Raspe die Kommunikation aufrechterhalten.
So sorgte der pure Zufall der Verlegung im Hochsicherheitstrakt dafür, daß Baader und Raspe in den Besitz von Schußwaffen gelangten und jederzeit miteinander und mit den anderen Gefangenen kommunizieren konnten.
In Stammheim wurden die »Kontaktsperrepolster« nur nachts an den Türen befestigt. Am Tage, so die offizielle Erklärung, hätten sie die Luftzufuhr zu den Zellen übermäßig beeinträchtigt.
Aus Protest gegen die Kontaktsperre waren die Gefangenen kurzzeitig in Hungerstreik getreten. Niemand außerhalb der Anstalt erfuhr davon, weder Rechtsanwälte noch Angehörige. Es herrschte Kontaktsperre.
An diesem Tag rief Andreas Baader den anderen zu: »Ab sofort wird wieder gefressen!«
Am späten Abend trat in Bonn der Große Krisenstab zusammen. In der Dokumentation der Bundesregierung hieß es darüber später: »In einer grundsätzlichen Aussprache werden die weiteren Verhaltensmöglichkeiten gegeneinander abgewogen. Über das konkrete Vorgehen gegenüber den Entführern besteht Einigkeit.«
Nachtdienstmeldung Stammheim, 4 . Oktober:
» 19 . 00 Uhr. Baader verlangt Optipyrin und Brandsalbe (ihm sei kochendes Wasser über den Fuß gelaufen), ausgehändigt.
23 . 05 Uhr Medikamente an Baader und Raspe ausgehändigt.«
33. Vier gleichlautende Anträge
(Mittwoch, 5 . Oktober 1977 )
Der Stammheimer Anstaltsleiter Nusser rief beim Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt an und teilte dem Richter Bertsch mit, Raspe wolle einen Antrag auf Aufhebung der Kontaktsperre stellen. Noch am selben Tag wurde der Amtsrichter in den siebten Stock geführt. Jan-Carl Raspe erschien und gab seinen Antrag zu Protokoll.
Anschließend wurde Baader dem Amtsrichter vorgeführt. Er stellte den gleichen Antrag.
Am Nachmittag desselben Tages fuhr auch der Richter Werner Heinz in die Haftanstalt Stammheim. Gegen 15 . 00 Uhr traf er Gudrun Ensslin. Nach einem kurzen Gespräch nahm der Richter den von ihr handschriftlich formulierten und am Vortag, dem 4 . Oktober, datierten Antrag entgegen.
Am Tag darauf erfuhr der Richter, daß auch Irmgard Möller die Aufhebung der Kontaktsperre beantragen wollte. Wieder fuhr er nach Stammheim.
Niemand kam angeblich auf den Gedanken, daß sich die Gefangenen abgesprochen haben könnten.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 5 . Oktober:
»Dr. Bertsch, Richter beim AG Stuttgart-Bad Cannstatt, war bis 19 . 30 Uhr bei Raspe und Baader.
23 . 00 Uhr Medikamente an Baader und Raspe ausgehändigt.«
34. Überwachung nicht zumutbar
(Donnerstag, 6 . Oktober 1977 )
Der Gefängnisarzt Dr. Henck, der zu den
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