Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Flugzeugentführer nachzukommen und neun Gefangene im Austausch freizulassen.
Gegen 3 . 00 Uhr morgens kehrte Staatsminister Wischnewski aus Vietnam zurück.
Währenddessen arbeitete Alfred Klaus an einem Alternativvorschlag zur Lösung der Geiselaffäre. Er wollte die Stammheimer Gefangenen an den Verhandlungen beteiligen. »Die Rote Armee Fraktion«, so Klaus später, »hatte ja immer den Anspruch erhoben, politisch zu wirken und eine politische Dimension zu haben.« Er wollte sie beim Wort nehmen: Sie sollten die Schleyer-Entführer in einer öffentlichen Erklärung zur Freilassung ihrer Geisel bewegen. »Sie hätten auf diese Weise in der Weltöffentlichkeit einen Sympathieerfolg erzielen können«, meinte Klaus. »Ich war überhaupt der Meinung, man hätte gegebenenfalls den Rechtsanwalt Schily als Vermittler einschalten können, der ja nun ein Vertrauter Gudrun Ensslins war, wie ich weiß. Wenn das alles nicht geholfen hätte, dann hätte man zusätzlich Geldangebote machen können oder Hafterleichterungen oder Einstellung von Verfahren gegen Rechtsanwälte. Ich war der Meinung, hier wäre eine Möglichkeit gewesen, den Gefangenen eine goldene Brücke zu bauen und gewissermaßen sich zu distanzieren und eben das Kommando im Untergrund, das Schleyer in Gewahrsam hatte, dazu zu bewegen, ihn freizulassen.«
Klaus brachte seinen Vorschlag zu Papier und schickte ihn als »ultima ratio« an den BKA -Präsidenten. Die Antwort kam nicht von Herold persönlich, sondern von dessen Abteilungsleiter TE , Gerhard Boeden. »Der Präsident hat Ihren Vorschlag abgelehnt«, sagte Boeden. Statt dessen solle Klaus eine fingierte Kommandoerklärung der Schleyer-Entführer entwerfen; so, als sei der Kompromißvorschlag von ihnen ausgegangen:
»Unsere Geduld ist erschöpft. Die Bundesregierung will uns durch ihre infame Hinhaltetaktik darüber hinwegtäuschen, daß sie einen Austausch der Gefangenen nie ernsthaft erwogen hat. Die Verhandlungen Wischnewskis mit den in Betracht kommenden Ländern sind ein Manöver zur Irreführung der Öffentlichkeit. Er soll seine Lustreisen beenden, die doch nur den Zweck haben, die Regierungen von ihrer Bereitschaft zur Aufnahme der Gefangenen abzubringen. Der Bundesregierung ist die Vernichtung der Gefangenen aus der RAF offenbar wichtiger als das Leben Schleyers, dieses fetten Repräsentanten des Großkapitals in der BRD .
Wir lassen uns nicht zu seiner Hinrichtung provozieren und als brutale Killer diffamieren. Dieser Staat kann seine beliebig auswechselbare Charaktermaske unter folgenden Bedingungen wiederhaben.
1 . Überweisung von 29 Millionen D-Mark auf ein Schweizer Bankkonto, das von Klaus Croissant treuhänderisch mit der Garantie der jederzeitigen Verfügbarkeit verwaltet wird.
2 . Einstellung der Verfahren gegen Croissant und alle anderen Vertrauensanwälte der Gefangenen aus der RAF .
3 . Wiederherstellung der Haftbedingungen für die Gefangenen, wie sie am 5 . 8 . 1977 in Stammheim gegolten haben.
4 . Zustimmung der Gefangenen, deren Freilassung von uns gefordert wird.
5 . Einstellung der Fahndung für die Dauer der Verhandlung.
30 . 9 . 1977 Kommando Siegfried Hausner, RAF .«
Klaus reichte das Schreiben weiter, hörte aber nie wieder davon.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 29 . September:
» 20 . 00 Uhr. Baader verlangt eine Optipyrin (ausgehändigt).
23 . 00 Uhr Medikamentenausgabe durch Sani an Baader und Raspe.
2 . 15 Uhr Dolviran an Baader ausgegeben.«
28. Eine »Doublette« wird observiert
(Freitag, 30 . September 1977 )
Um 9 . 00 Uhr morgens übermittelte das BKA seine 21 . Mitteilung an die Entführer: »Die Regierung der Volksrepublik Vietnam lehnt die Aufnahme der Gefangenen ab. Auch Algerien hat nunmehr erklärt, daß es nicht zum Aufnahmeland für Terroristen werden wolle.«
Das Kontaktsperregesetz wurde vom Deutschen Bundestag verabschiedet.
Nur die SPD -Abgeordneten Manfred Coppik, Karl-Heinz Hansen, Dieter Lattmann und Klaus Thüsing stimmten dagegen.
Der Stimme enthielten sich 17 Parlamentarier. Zwei Stunden später unterzeichnete der Bundespräsident das Gesetz.
Am späten Nachmittag wurde Rechtsanwalt Klaus Croissant in Paris festgenommen.
Inzwischen hatte die Polizei ermittelt, daß alle Kennzeichen der bei der Schleyer-Entführung benutzten Wagen bei einer bestimmten Firma am Hansaring in Köln geprägt worden waren. Derselbe Kunde hatte noch mehr Kennzeichen bestellt: vier Paare.
Die
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