Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
treuen Händen.« Ganz professionelle Autorin, gab sie ein paar Hinweise für die Inszenierung: »Bei Irene ist noch wichtig, daß sie mit einem ungeheuren Wuschelkopf – verkorkste Dauerwelle – anfängt … Und Jynette sieht aus wie ein Mann … Von dem Gedanken, mit Laien dokumentarisch zu drehen, bin ich vollkommen abgekommen. Laien denke ich mir als Statisten. Im übrigen bin ich für Schauspieler. Dies ist einfach kein Dokumentarfilmdrehbuch.«
Wenn der Redakteur einen besseren Titel als »Bambule« wisse, interessiere sie das: »Ganz glücklich war ich mit keinem meiner Einfälle.« Am Ende wünschte sie fröhliche Weihnachten und hatte noch eine Bitte: »Wenn Geld – dann bitte erst im nächsten Jahr, wegen der Steuern.«
Die Arbeit an dem Film zog sich über mehr als ein Jahr hin. Währenddessen versank Ulrike immer mehr in eine Depression, die sie versuchte, politisch zu interpretieren.
Ihre journalistische und schriftstellerische Arbeit genügte ihr immer weniger. Nicht im Beschreiben der Wirklichkeit sah sie ihre Aufgabe, sondern in der Veränderung. Theoretisch jedenfalls. Selbst aktiv geworden war sie so gut wie nie – von der gescheiterten Aktion gegen ihre eigene Zeitschrift »konkret« einmal abgesehen.
Die praktische Arbeit am Film stürzte Ulrike Meinhof in immer tiefere Zweifel über den Sinn ihres Tuns. Irgendwann skizzierte sie ihre Einsichten während der Dreharbeiten: »Dem Drehbuch nach sind die Mädchen die Hauptpersonen des Films. Das war der Zweck des Ganzen, diese Mädchen, denen man sonst nichts zutraut, die im Heim und außerhalb wie Dreck behandelt werden, zu zeigen, wie sie sind: leidend und handelnd, getretene Mädchen, die permanent Widerstand leisten, eine verfolgte Jugend, die sich wehrt.«
Es sei ihre Absicht gewesen, die Isolation der Mädchen aufzubrechen, Solidarität mit ihnen von außen herzustellen. Ulrike Meinhof bitter: »Die Absicht mag richtig sein, das Mittel – ein Film – erwies sich schon beim Drehen als falsch.«
Die echten Heimmädchen seien wie im richtigen Leben nur Statistinnen, eine Randgruppe, gewesen. Die Hauptpersonen seien von Schauspielerinnen mit den glatten Gesichtern von Mädchen bürgerlicher Herkunft gespielt worden: »Ihre Stimmen sind die Stimmen von Mädchen, die gewohnt sind, Konversation zu machen, nicht Stimmen, die Auseinandersetzungen und Kämpfe gewohnt sind. Ihr Trotz ist kokett.« Für die Schauspielerinnen seien die Dreharbeiten im Heim nichts als ein exotisches Erlebnis gewesen. Die realen Heimmädchen hätten ihre Statistengage von 250 Mark sofort für Klamotten ausgegeben. Das wiederum habe den Fürsorger im Heim veranlaßt, das Gerücht zu verbreiten, die Mädchen hätten das Geld versoffen. Als die Filmemacher wieder aus dem Heim verschwunden seien, habe er seinen Terror unvermindert fortsetzen können. Den Kampf dagegen führten die Mädchen, als wären die Filmer nie dagewesen. »Der Film hat nicht einmal die unmittelbar an den Dreharbeiten Beteiligten für die Mädchen einnehmen können, wieviel weniger wird er die Zuschauer agitieren …« Es sei ihre Absicht gewesen, mit dem Film etwas zu verändern. Spätestens seit den Erfahrungen bei den Dreharbeiten im Heim sei ihr klar geworden: Der Film ist für ihre politischen Intentionen ein ungeeignetes Mittel.
Der Text zeigt, wie weit Ulrike Meinhof sich inzwischen von ihrer publizistischen Arbeit verabschiedet hatte. »Ändern wird sich nur etwas«, so schrieb sie, »wenn die Unterdrückten selbst handeln. Wer sie dabei unterstützen will, muß es praktisch tun, muß den Unterdrückten selbst helfen, sich zu organisieren, zu handeln, ihre Forderungen durchzusetzen. Es kommt nicht darauf an, ihnen zu zeigen, wie man es machen muß, es kommt darauf an, selbst mitzumachen.«
Mit dem Film »Bambule« werde dem Fernsehpublikum das Elend der Mädchen zum Konsum – einen netten Abend lang – angeboten. »Ein Fernsehspiel«, so das Resümee der Autorin, »das die Mädchen einmal mehr verschaukelt, man darf sagen: ein Scheißspiel.«
Um die Jahreswende 1969 / 70 herum wurde Ulrike Meinhof in ihrer Dahlemer Wohnung von der Filmemacherin Helma Sanders interviewt. Nervös rollte sie Papierkügelchen zwischen ihren Fingern und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Verzweiflung stand in ihrem Gesicht. »Privatangelegenheiten sind immer politische«, sagte sie, »Kindererziehung ist unheimlich politisch, die Beziehungen, die Menschen untereinander haben,
Weitere Kostenlose Bücher