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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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gesetzt. Das Auto gehörte einem Rundfunkredakteur vom WDR , einem alten Bekannten Ulrike Meinhofs, der es ihr geliehen hatte.
    Ulrike rief ihn an: »Es tut mir leid, aber dein Wagen hat ein Eselsohr.« Durch den Unfall waren die Planungen für den Einbruch in das Waffendepot durcheinandergeraten.
    Schließlich wurde die Aktion abgeblasen. Meinhof, Jansen und Ruhland machten sich auf die Suche nach neuen Fahrzeugen.
     
    Sie hatten ein kompliziertes, aber sehr wirkungsvolles System der Tarnung gestohlener Autos entwickelt, die sogenannte Doublettenmethode. Die Beamten des Bundeskriminalamts reagierten darauf später mit Erstaunen und professioneller Anerkennung.
    Gruppenmitglieder postierten sich dazu auf Parkplätzen vor Wohnhäusern. Sobald ein Wagen des gewünschten Typs auftauchte, folgten sie dem Fahrer zu seiner Wohnung. Ein paar Tage später klingelten sie, ausgestattet mit dem Ausweis eines Meinungsforschungsinstituts, und befragten den Autobesitzer nach den Daten seines Fahrzeugs. Anschließend wurde ein neuer Kraftfahrzeugschein mit den entsprechenden Angaben, Name des Besitzers, Tag der Erstzulassung, Kennzeichen, Typ, Farbe hergestellt. Danach machte man sich auf die Suche nach einem anderen Wagen, der exakt die gleichen technischen Daten aufwies. Dieses Duplikat wurde dann gestohlen und mit dem Kennzeichen des ausgespähten Erstwagens versehen. Auf diese Weise gab es plötzlich zwei Wagen mit gleichem Aussehen und gleichem Kennzeichen. Wurde jemand in einer solchen »Doublette« von der Polizei angehalten und überprüft, ergab die Nachfrage beim Kraftfahrzeugbundesamt, daß ein solches Fahrzeug tatsächlich unter dem Namen des entsprechenden Halters registriert und nicht als gestohlen gemeldet sei.
    Später, als es der Gruppe zu aufwendig wurde, ständig Autos zu stehlen, wurden häufig Fahrzeuge bei Verleihfirmen angemietet und umfrisiert.
    In der Zwischenzeit hatte die Gruppe ihr System vereinfacht: Sie gab die umständliche »Interviewpraxis« zur Feststellung von Kfz-Daten auf, statt dessen wurden die entsprechenden Daten im Polizeifunk abgehört und danach die Papiere für die »Doubletten« angefertigt.
     
    Entsprechend einer Anweisung aus Berlin schwärmten die drei in der zweiten Novemberwoche aus, um im Vorland des Harzes und im Weserbergland Rathäuser zu besichtigen. Sie wollten auskundschaften, welche Paßämter für einen Einbruch in Frage kämen. Um falsche Pässe und Ausweise herzustellen, brauchte die Gruppe dringend Blankopapiere und Dienstsiegel.
    In der Nacht vom 15 . auf den 16 . November 1970 brach Ruhland mit einem Schraubenzieher die Hintertür des Rathauses in Neustadt am Rübenberge auf und schlich zusammen mit Ulrike und Ali in das Gebäude. Plötzlich überfiel ihn Angst. »Ich habe meine Handschuhe im Auto vergessen«, flüsterte er den anderen zu und verschwand.
    Wenige Minuten später kamen Ulrike Meinhof und Ali vollgepackt mit Paßvordrucken, Ausweisen, Dienstsiegeln und Briefpapier nach draußen. Unbehelligt kehrten sie in ihr Quartier nach Polle zurück. Ruhland schnürte ein Paket mit den im Rathaus Neustadt erbeuteten Formularen und schickte es nach Berlin an eine Adresse in Schöneberg, wo Baader und Ensslin wohnten. Allerdings hatte sich Ulrike Meinhof bei der Entschlüsselung der Adresse geirrt – sie war in der Code-Tabelle zwei Zeilen zu tief gerutscht –, und so landete das Paket nicht in Berlin, sondern als »unzustellbar« im zentralen Paketzustellamt in Bamberg.
    Deshalb wurde die »Aktion Paßamt« eine Woche später wiederholt. Diesmal wurde das Rathaus in Langgöns bei Gießen anvisiert. Im Zimmer des Bürgermeisters stießen sie auf einen unverschlossenen Stahlschrank, der von Blanko-Personalausweisen überquoll. Im Schein der Taschenlampe wurden die Formulare eingesackt, dazu Dienstsiegel und ein Stanzgerät mit den dazugehörigen Nieten zum Einheften von Paßfotos.
    Ruhland entdeckte noch eine Flasche Cognac, die er unverzüglich öffnete und halb leer trank.
    Wenige Tage später traf Jan-Carl Raspe in einem roten Renault  16 in Polle ein. Er hatte mehrere Funkgeräte dabei, die in die Fahrzeuge der Gruppe eingebaut werden sollten. Von nun an nahm er an den Erkundungsfahrten teil. Nach und nach sollten auch die übrigen Berliner Gruppenmitglieder ins Bundesgebiet kommen.

11. Jan-Carl Raspe
    Jan-Carl Raspe wurde 1944 geboren. Sein Vater, ein Kaufmann, starb vor seiner Geburt. Zusammen mit zwei älteren Schwestern wuchs er in einem alten

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