Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
Vom Netzwerk:
Politik reden zu müssen.
    »Und damit hat Baader es dann auch geschafft, daß unsere politisch-heroischen Vorstellungen flöten gingen, man war jetzt richtig im Krimi drin«, erinnerte sich Beate Sturm später. »Die Frage, was wir eigentlich wollten, haben wir uns klar gar nicht mehr gestellt. Man rutscht in so etwas hinein. Und da man zu wissen glaubte, daß man von der richtigen politischen Linie herkam, da hat das einem gefallen, auch noch den Krimi mitzukriegen.«
    Mitte November war Beate Sturm bereit, in die Illegalität zu gehen. Über die Folgen hatte sie sich kaum Gedanken gemacht. Sie hoffte, eines Tages ihr Studium wieder aufnehmen zu können. Auf den Kontakt zu Eltern und Geschwistern wollte sie auf keinen Fall verzichten.
    Am 6 . Dezember kam es zu einem neuen Treffen in der Kulmbacher Straße. In der Wohnung waren Andreas Baader, Holger Meins, ein Mädchen mit dem Namen »Prinz« – das war Petra Schelm – und Ulrich Scholze bereits auf dem Matratzenlager versammelt. Baader machte einen hektischen und nervösen Eindruck. »Der Boden in Berlin ist zu heiß geworden«, sagte er. »Wir wollen erst mal in der BRD weiterarbeiten. Da soll ein Apparat aufgebaut werden.« Dazu müßten Autos und die dazugehörigen Papiere beschafft und Geld besorgt werden. Zugleich sollten Anschläge verübt werden, um die Öffentlichkeit auf den politischen Kampf der Gruppe aufmerksam zu machen.
    »Ihr reist in zwei Gruppen nach Westdeutschland«, erklärte Baader. »Beate und Holger fahren auf getrennten Wegen nach Frankfurt, Teeny und Ulli nach Nürnberg.« Ilse S., »Teeny« genannt, war mit sechzehn Jahren die Jüngste in der Gruppe.
    Meins übergab Beate Sturm einen Briefumschlag mit Geld, etwa 3000 Mark. »Davon kannst du auch den Flugschein bezahlen«, sagte er. »Das kommt mir ein bißchen zu überraschend«, sagte sie. »Eigentlich wollte ich über Weihnachten zu meinen Eltern fliegen.« Meins beruhigte sie: »Vorher bist du längst wieder zurück.« Er machte eine Pause und schlug danach einen etwas schärferen Ton an: »Entweder morgen oder gar nicht.«
    Am nächsten Morgen flog Beate Sturm nach Frankfurt. Dort wartete sie gegenüber dem Hauptbahnhof im Restaurant »Aschinger« auf Holger Meins, der zwei Stunden später im Auto aus Berlin eintraf. Gemeinsam fuhren sie zu einer Grünanlage im Westend.
    Meins klemmte sich ein Exemplar des »Time Magazine« unter den Arm und ging zu einer Telefonzelle, wo er mit »Anna«, die er bis dahin noch nie gesehen hatte, verabredet war. Beate Sturm sollte in einem Café auf ihn warten. Nach einiger Zeit kam er mit Ulrike Meinhof zurück.
    Sie fuhren zur Wohnung der Familie B., wo Beate neue Genossen kennenlernte: »Fred«, Jan-Carl Raspe, und »Kalle«, Karl-Heinz Ruhland.
    »Hast du mir Geld aus Berlin mitgebracht?« fragte Ulrike Meinhof.
    Beate Sturm gab ihr den Umschlag.
     
    In der Zwischenzeit hatten Ulli und Teeny in Nürnberg Banken ausgekundschaftet.
    Ulrich Scholze war am selben Tag zur Gruppe gestoßen wie Beate Sturm. Er war 23  Jahre alt und Tutor im Fachbereich Physik an der FU . An seinem eigenen Beispiel erfuhr er, wie leicht es der Gruppe damals fiel, neue Mitglieder zu rekrutieren. »Eine Voraussetzung für die Teilnahme«, so erklärte er nach seiner Festnahme, »ist eine bestimmte psychologische Disposition. Man muß emotional davon überzeugt sein, daß sämtliche Reformbemühungen nur einer Stabilisierung dieses Gesellschaftssystems und der Festigung des Kapitalismus dienen. Die dann existierende Einheit zwischen Ratio und Emotionen ist erst die Voraussetzung für entschlossenes Handeln. Völlige Bestätigung tritt dann durch den entsprechenden Druck der Strafverfolgungsbehörden ein. Durch entsprechende reißerische Presseberichte und Äußerungen von Regierungsstellen, wie ›Staatsfeind Nummer 1 ‹, treten Erfolgserlebnisse auf, die einem die Kraft zum weiteren Handeln geben.«
    Der Rutsch in die Illegalität gehe sehr schnell. Erst werde ein Interessent zur Wohnungsbeschaffung herangezogen. Anschließend mache er vielleicht bei einem Autodiebstahl mit, von da bis zu einem Banküberfall sei es kein weiter Weg.
    Scholze lernte Baader als einen »intelligenten, schnell begreifenden Mann« kennen, der »Situationen realistisch einschätzen konnte und über hohe psychische Reserven verfügte«. Er habe aber dazu geneigt, andere ständig anzubrüllen. Gudrun Ensslin, seine Lebensgefährtin im Untergrund, sei in der Diskussion nicht so ungeduldig

Weitere Kostenlose Bücher