Der Babylon Code
37°.
Die Wärme streichelte die Haare an seinen Unterarmen. Nacheinander griff er alle Petrischalen und warf sie in die Reisetasche. Er wischte die Schlieren am Glas des Sichtfensters mit einem Tuch ab und warf es ebenfalls in die Tasche.
Jeder Griff war wie ein Schlangenbiss, schnell, stoßend, zurückzuckend. Tränen rannen über seine Wangen. Er schluchzte und zitterte fiebrig.
Dann ging er hinüber zur Kühltruhe und öffnete den Deckel. Sie hatten mittlerweile gut zwanzig Proben extrahiert und eingefroren. In zwei leicht rosa schimmernden Reagenzgläsern war die Gensubstanz bereits in einer gebrauchsfertigen Liposomenlösung vorbereitet. Eine weitere trug Thornten bei sich, und zwei hatten sie dazu verwendet, steinalte Mäuse binnen weniger Stunden in junge Kraftprotze zu verwandeln.
Das sollte Sünde sein? Das sollte von Gott nicht gewollt sein?
Dufour schüttelte die Gedanken ab, warf die Proben in die Reisetasche und überprüfte mehrmals, ob er auch alles eingepackt hatte. Es durfte nichts zurückbleiben. Keine Probe, keine Schliere, hatte Hieronymus verlangt.
Dann setzte er sich an den Computer und klickte sich in den Datenbereich, der eigens für die Analysen eingerichtet worden war. Während normalerweise alle Daten im gierigen Schlund des Zentralcomputers in Boston verschwanden, war diesmal auf Weisung dieser Hexe Purcell nur eine Speicherung im örtlichen System erfolgt.
»Wollen Sie die Dateien endgültig löschen?«
Der Pfeil stand auf »Ja«.
»Die Tür ist aufgestoßen zu
dem
Menschheitsgeheimnis.«
»Ich kann es einfach nicht glauben«, murmelte Chris. Das Ganze war ihm zu pathetisch. Wie konnte man mit dem rudimentären Wissen über die Wasseroberfläche des großen Ozeans sagen, wie es in zehntausend Meter Tiefe aussah?
»Daher müssen wir alles über die Herkunft des Knochens erfahren.«
Chris lachte. »Ich sollte ihn transportieren. Mehr nicht. Der Mann, der mehr wusste, ist tot.«
»Sie erkennen die ganze Tragweite der Entdeckung wohl
nicht?« Thorntens Stimme bekam einen feindseligen Unterton. »Wir können das Altern verhindern, alte Körper wieder verjüngen. Wissen Sie, was das bedeutet? Verlängerung des Lebens für jeden von uns…«
»Unsterblichkeit?«, murmelte Chris.
»Vielleicht auch das.« Thornten nickte. »Aber selbst wenn dem nicht so wäre, sind zumindest deutlich längere Lebensspannen möglich, nicht zu vergessen die Bekämpfung von Krankheiten. Dreihundert Theorien über das Altern werden mit einem Schlag durch die Lösung ersetzt. Jedes zusätzliche Detail ist wichtig. Im Augenblick sind Sie nicht sehr ergiebig.«
»Habe ich auch nicht versprochen.«
»Tragen Sie den Knochen da in Ihrem Rucksack herum?« Thorntens Stimme war voller spannungsgeladener Untertöne.
Chris antwortete nicht.
Thornten nickte kurz, und schon standen Sullivan und Sparrow neben Chris’ Stuhl. Sullivan sah mit ausdrucklosem Gesicht zu Chris hinab und hielt die Hand auf, während Sparrows Hände sich auf Chris’ Schultern legten.
»Machen Sie keine Dummheiten!« Hank Thornten bedachte Chris mit einem eisigen Blick. »Ich sehe Ihnen an, was Sie denken. Aber auch wenn es Ihnen gegen den Strich geht: Hier wird getan, was ich will. Die beiden werden nicht zögern, Ihnen den Rucksack mit Gewalt abzunehmen.«
»Im Rucksack sind noch andere Sachen als der Knochen…«
»Davon bin ich überzeugt.« Thornten grinste hämisch. »Vielleicht sogar ein zweiter Knochen? Ich bin mir sicher, der Rucksack ist eine richtige Fundgrube. Also!«
Chris zögerte kurz, zuckte dann mit den Schultern und schob den Rucksack mit dem Fuß zur Seite.
»Sehr schön. Sie sind vernünftig.« Thornten grinste herablassend.
»Ich kenne meine Grenzen.« Chris hielt dem kalten Blick stand und räusperte sich. »Aber… ausgerechnet ein Y-Chromosom? Woher kommt es? Warum tragen wir es nicht alle in uns? Warum ist es – ausgestorben?«
»Woher es kommt? Völlig unklar. Aber es ist da! Warum Sie und ich es nicht in uns tragen, dafür gibt es bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehbare biologische Grundlagen. Interessiert?«
Chris nickte.
»Die Informationen sind in der Zellkern-DNA hinterlegt. Auf einem besonderen Y-Chromosom.« Thornten lächelte spöttisch. »Zeugt der Mann mit dem zusätzlichen Y-Chromosom eine Tochter, besitzt diese normalerweise zwei XX-Chromosomen. In diesem Fall ist die Vererbung des Y-Chromosoms bereits beim ersten Nachkommen verloren. Nehmen wir die Zeugung eines Sohnes an, dann
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