Der Babylon Code
Hieronymus zeigte ihm den Weg.
Dufour nahm die Reisetasche, die er am Nachmittag aus einem der Patientenzimmer gestohlen hatte, und ging mit schweren Schritten hinüber in das Labor, schaltete an der Tür das Licht ein und starrte nach oben, bis auch die letzte Lampe mit einem leisen Summen leuchtete.
»So ist das mit den Frauen.« Zoe Purcell lachte. »Setzen Sie sich, und verdauen Sie erst einmal diesen Liebesbeweis.« Ihr gehässiger Blick verfolgte Jasmin, die zu ihrem Stuhl stapfte.
»Schön, den geheimnisvollen Unbekannten kennen zu lernen, der uns die Entdeckung der wissenschaftlichen Sensation überhaupt ermöglicht hat. Was führt Sie hierher?« Thornten begrüßte Chris.
Chris murmelte etwas von wichtigen und unaufschiebbaren Geschäften und Jasmins besorgtem Anruf.
»Und nun wollen Sie Miss Persson aus den Fängen der Ungeheuer befreien…« Thornten lachte amüsiert auf. »Schauen Sie sich um. Eine Runde verantwortungsvoller Wissenschaftler. Miss Persson hat wohl etwas übertrieben, wir hatten das schon befürchtet. Mir gegenüber hat sie vorhin geäußert, sie sehe sich als Gefangene. Was natürlich ganz und gar nicht stimmt.«
»Sie meinen also, ich kann mit Miss Persson von hier verschwinden, wenn wir es denn wollen?«
Thornten lachte. »Ich glaube kaum, dass Sie das tun werden.« Er fasste die Geschehnisse in Prag und Dresden in wenigen, gut strukturierten Sätzen zusammen. Chris verriet mit keiner Miene, was er von Waynes Verrat hielt, und hörte aufmerksam zu, um die gentechnischen Details aufzunehmen.
»Für mich ist die Genetik ein riesiger, unbekannter Ozean«, sagte Chris, als Thornten endete. »Aber so viel habe ich verstanden: Wayne hat doch noch eine Zellteilung in Gang gebracht, und bei der anschließenden Untersuchung hat er ein 47. Chromosom entdeckt, ein zusätzliches männliches Y-Chromosom. Das wiederum ist eine Anomalie, die aber…«
». . . Trisomie, ja, XYY-Trisomie…«
». . . wissenschaftlich nicht unbekannt ist.« Chris machte eine Pause, sammelte sich. »Ich habe weiter verstanden, dass Trisomien praktisch immer mit schweren Krankheiten verbunden sind.«
»Ja – wobei bei den Geschlechtschromosomen Besonderheiten existieren, sodass man mit pauschalen Aussagen vorsichtig sein muss.« Thornten wiegte den Kopf. »Ich kenne mich besser mit Pflanzen aus. Andrew, das ist dein Gebiet.«
Andrew Folsom zog die Augenbrauen hoch, doch Thornten nickte ungeduldig, und Folsom schnarrte los.
»Zusätzliche Chromosomen verursachen normalerweise starke Schädigungen, etwa das Down-Syndrom bei einer Trisomie auf dem Chromosom 21. Überzählige Geschlechtschromosomen scheinen aber weniger schädlich als andere Trisomien. Frauen mit drei oder vier X-Chromosomen weisen häufig keine schweren Krankheitsbilder auf. Das scheint damit zusammenzuhängen, dass die überzähligen X-Chromosomen auf Dauer abgeschaltet werden. Das passt in die Systematik des Normalfalls, denn eine Frau hat normalerweise zwei X-Chromosomen – eines von der Mutter, eines vom Vater. Eins davon wird bereits in einem frühen Stadium abgeschaltet. Auf Dauer, für immer.«
»Bisher habe ich alles verstanden«, sagte Chris, der das unausgesprochene Kannst-du-noch-folgen in Folsoms Blick wahrnahm.
»Männer mit Trisomien bei den Geschlechtschromosomen sind problematischer. Wenn zwei X-Chromosomen, also eine XXY-Trisomie vorliegt, dann leiden diese Männer zumeist am Klinefelter-Syndrom, sind steril, ungewöhnlich groß, mit ungewöhnlich langen Armen und Beinen, bilden mitunter Brüste aus und sind am Körper gering behaart…«
»Aber das hier ist eine XYY-Trisomie, richtig?« Chris lächelte giftig, weil Folsom ihn anstarrte wie einen Grundschüler.
»Auch sie kann Auswirkungen haben, muss aber nicht. Diese Männer sind größer als der Durchschnitt, man hat heftige Akne beobachtet, vergrößerte Proportionen im Gesichtsbereich, Hodenhochstand und Herzfehler. Die Spermienqualität ist geringer, und ein erhöhter Testosteronwert kann typische männliche Verhaltensmuster stärker ausprägen.«
»Das alles hört sich aber nicht nach einer wissenschaftlichen
Sensation, sondern eher nach einer Schädigung an.« Chris schüttelte den Kopf.
»Tatsächlich hat man früher XYY-Männern gesagt, sie sollen sich nicht fortpflanzen.« Thornten lachte auf. »Es gab sogar Untersuchungen, die diese Männer zu kriminellen Soziopathen stempeln wollten. Aber das ist Schnee von gestern. Heute kann man sagen, der XYY-Trisomie
Weitere Kostenlose Bücher