Der Babylon Code
kein Missing Link auf dem Weg vom Einzeller zum Menschen gefunden haben, keine DNS-Programme, die den Spezieswandel beweisen. Bakterien besitzen Gene der Bakterienspezies, nicht mehr. Keine abgeschalteten Menschengene oder Gene von einem Hai.«
Marvin wurde mit jedem Wort lauter, emotionaler. Sein eben noch entspanntes Gesicht rötete sich, die Zeigefinger seiner Hände stießen wie Speere auf Lavalle ein.
»Hilflos argumentieren sie daher mit konstruktiven Ähnlichkeiten, verkümmerten Organen. Kiemen werden bei ihnen zu Kanälen des menschlichen Innenohres. Sie unterstellen wahllose Mutationen, um ein so komplexes Wesen wie den Menschen zu erklären. Welche Anzahl von unglaublichen Zufällen – statistisch einfach unmöglich. Da werden wir uns doch erlauben können, diese kleine Ungenauigkeit zu ignorieren, oder? Und mir gefällt überhaupt nicht, dass nicht ein einziges Mal Gott, unser Schöpfer, genannt wird.«
»Monsieur Marvin, ich habe mich dabei nur an die Entwicklungen in Ihrem Heimatland gehalten. In der neuesten Debatte wird Gott von denen, die gegen die Wissenschaft und die Evolutionstheorie zu Felde ziehen, nicht genannt. Bewusst nicht.«
»Ich weiß.« Marvin trank einen Schluck Rotwein und setzte das Glas hart ab. »Der neueste Trick der protestantischen Aufrührer, sich mit den Wissenschaftlern zu messen und die Menschen überzeugen zu wollen. Sie nehmen den einen Angriffspunkt raus und hoffen, damit weiterzukommen. Der Präsident sprach schon von der Debatte zweier Gedankenschulen.«
Lavalle starrte verständnislos auf den mächtigsten Mann der
Prätorianer
. »Was ist daran falsch? Es dient doch dem Ziel, die Evolutionstheorie und die Wissenschaft zu entlarven.«
»Die Schöpfung ist Gottes Werk! Sie steht in der Bibel geschrieben in den Kapiteln eins und zwei des ersten Buches Mose. Beschrieben in zehn Schritten und fehlerfrei in der Reihenfolge, wie auch die Wissenschaft das Entstehen des Lebens in den grundlegenden Schritten beschreibt…«
Marvin sammelte sich und versenkte den Blick wie ein Hypnotiseur in Lavalles Augen.
»Zunächst die Erschaffung des Himmels und der ganzen Welt, also des Universums. Dann durchdringt ein erstes Licht, das Gott Tag nennt, den Gas-und Staubmantel der wüsten Erde als Vorbedingung allen Lebens. Gott trennt Himmel und Erde, schafft so den hydrologischen Zyklus, also Temperatur und Druck, endlich lässt er als vierten Schritt Land und Meer entstehen…«
Marvin erregte sich immer mehr, und Lavalle winkte beschwichtigend ab, aber der Prätorianer war nicht zu bremsen.
». . . in Vers elf schließlich die Erschaffung der Vegetation – aus Wasser, Licht und großen Mengen Kohlendioxid. Als sechsten Schritt wiederum produzieren die Pflanzen Sauerstoff, wodurch die Atmosphäre sich verändert und ›durchsichtig‹ wird, die Himmelslichter wie Sonne und Mond werden sichtbar, sie geben der Erde das Licht und markieren Tag, Nacht und Jahreszeiten. Gott befiehlt im siebten Schritt, im Wasser und in der Luft solle sich das Leben regen, danach Vieh und wilde Tiere auf dem Land.« Er holte Luft. »Und dann schuf Gott den Menschen und vollendete seine Schöpfung am siebten Tag und schuf seither nichts Neues!« Marvins eben noch laute Stimme wurde zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Lavalle, bedenken Sie doch. Allein die Wahrscheinlichkeit, dass Moses diese Reihenfolge korrekt erriet und aufschrieb, liegt nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung jenseits der Millionen. Abgesehen von der Reihenfolge – wie kam Moses dazu, ausgerechnet diese Schritte der Schöpfung auszuwählen, die auch die Wissenschaft als grundlegend für das Entstehen der Erde und des Lebens anerkennt? Ganz im Gegensatz zu anderen Schöpfungsmythen mit ihren Fehlern.«
»Monsieur Marvin, ich stimme Ihnen doch voll und ganz zu…«
»Es ist Gottes Werk!« Marvin wurde wieder laut. »Das sollen alle wissen! Wir sind die
Prätorianer der Heiligen Schrift
. Das ist der große Unterschied zwischen den Protestanten und uns. Wir stehen zu unserem Gott. Die ohne Gott argumentieren, verraten Gott, sie verleugnen ihn. Sie sind nicht besser als diejenigen, die der Evolution das Wort reden.«
»Monsieur Marvin, warum hat die katholische Kirche dann die Evolutionstheorie anerkannt?«
»Verwirrungen, Lavalle. Verwirrungen auf höchster Ebene. Aber unser Heiliger Auftrag wird unterstützt…«
Mitten in das letzte Wort hinein klingelte Marvins Handy. Er trank einen Schluck Rotwein und meldete sich mit einem
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