Der Bademeister: Roman (German Edition)
spüren, er geht nicht verloren.
Es ist schon spät, ich werde jetzt hinuntergehen in den Keller, um zu schlafen. Hören Sie mich? Ich spreche ja laut genug, man muss mich doch verstehen. Das Licht schalte ich nicht an, obwohl der Gang sehr eng und niedrig ist. Aber im Keller stehen die vier Globen, und wenn auch zwei verloschen sind, so leuchten doch die anderen beiden immer noch. Wie still es ist. Die Zeit will nicht vergehen. Heute Morgen ist ein zweiter Placken Putz aus der Wand gebrochen. Hören Sie? Wenn nicht bald etwas geschieht, werden die Mauern einstürzen. Das Schild steht schon am Eingang: Vorsicht! Einsturzgefahr! Sie werden alles unter sich begraben. Es ist schon spät.
II
Die Uhr ist stehen geblieben. Früher konnte man ihr Ticken hören, wenn die Halle leer war, und man wusste, wie spät es ist.
Ich bin nie zu spät gekommen. Immer war ich als Erster da und ging als Letzter, gefehlt habe ich niemals, Urlaub nie gefordert und sogar abgelehnt. Morgens bin ich aus dem Haus und gleich hierhergegangen, ohne mich aufzuhalten unterwegs, denn Cremers Kiosk kann als Verzögerung nicht gelten, da wir lange miteinander bekannt sind und nicht viele Worte machen mussten. Guten Morgen, Hugo! hat er gerufen und mir sogleich die Tüte mit meinem Mittagsbrot über die Zeitungen zugeschoben. Nur manchmal haben wir einige Sätze gewechselt, und noch seltener hat er mir aus einer Zeitschrift oder Zeitung vorgelesen. Ich habe nie viel gesprochen, und bis zur Leerung des Schwimmbeckens, bis zum Tod meiner Mutter hat er kaum mehr von mir gehört als Guten Morgen! oder Es ist kalt, oder Viele Grüße an deine Frau. Trotzdem muss er als mein nächster Bekannter gelten, seit seine Tochter Tanja mit mir bis zum Schwimmbad lief und bald darauf verlangte, schwimmen zu lernen. Damals war sie sieben Jahre alt, aber das liegt fast dreißig Jahre zurück.
Ich habe nie zugelassen, dass mich etwas ablenkt. Wenn ich auch nie Bademeister werden wollte, die Arbeit im Schwimmbad als ungerechte Strafe für etwas betrachtete, das nicht ich, sondern mein Vater getan hatte, so habe ich meine Aufgabe doch nie vernachlässigt.
Wenn ich jetzt aufwache und in die Halle gehe, nachdem ich die Öfen gefeuert und geduscht habe, ist es immer schon zu spät. Nur unten kann man duschen, denn hier oben ist das Wasser abgestellt. Ich habe alle Wasserhähne ausprobiert. Der Haupthahn für die Auskleidekabinen und Duschen ist zugedreht, und ich wage nicht, ihn aufzudrehen, denn das Gewinde ist verrostet. Trotzdem gehe ich morgens als Erstes in die Duschräume. Ich habe immer vorgezogen, hier und nicht zu Hause zu duschen, habe das Bad meiner Mutter überlassen, ihren rosa Lockenwicklern, dem Geruch von Haarfestiger und Kölnisch Wasser, habe überhaupt in dieser Wohnung nur übernachtet; seit ich Bademeister bin, seit die Bücher weggepackt sind, gibt es keinen anderen Grund, sich dort aufzuhalten. Ich habe eine Tasse Tee getrunken, mich rasiert und bin gleich aufgebrochen, in einer dünnen Jacke, denn der Weg war kurz. Es hatte alles seine gute Ordnung, auch wenn Cremer über mich und meine Eile spottete. Man könnte meinen, ohne Chlor hältst du es nicht aus. Ein Wunder, dass du noch Haare hast, lachte er mich aus und zeigte auf seinen kahlen Schädel. Täglich ging ich bei ihm vorbei, kaufte zwei belegte Brötchen zum Mittagessen und niemals eine Zeitung. Du weißt ja gar nicht, wo du lebst, behauptete Cremer und hatte recht. Niemals ein anderer Weg als zwischen dem Stadtbad und der Wohnung, derselbe Weg seit Jahren, aber anders wollte ich es nicht mehr. Sah immer ordentlich und unauffällig aus, erst in letzter Zeit ist mein Gesicht eingefallen, so dass die Nase scharf hervortritt, die grauen Augen zu groß und eingesunken sind. Cremer würde mich nicht mehr erkennen.
Sowie ich aufgestanden bin, öffne ich die Klappen der Öfen, stochere mit der eisernen Schaufel darin herum, suche die letzte Glut, schaufele die Asche in große Eimer, weißgraue Asche, die staubig ist und keine Ähnlichkeit mehr mit der Kohle hat. Seit ich über Nacht hier bleibe, nicht zum Schlafen in die leere Wohnung zurückkehre, ist es leichter, morgens das Feuer anzumachen, denn fast immer glimmt unter der dichten Ascheschicht noch Glut. Ich habe es gelernt, die Öfen zu feuern, und auch die Angst, es könnte alles in Flammen aufgehen, während ich schlafe, hat sich verloren. Man kann mir keinen Vorwurf daraus machen, dass ich heize, denn jedem, der den mindesten
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