Der Bademeister: Roman (German Edition)
erreichte es die unteren Sprossen der Leitern. Am Morgen des vierten Tages war das Becken leer. Frau Karpfe rief nach mir und schickte mich hoch zu den Wannenbädern.
Die Schwimmhalle habe ich bis zu meiner Rückkehr nicht betreten.
Wenn ich den Abfluss nicht geöffnet hätte, hätte ein anderer es getan. Sie können mir nichts vorwerfen. Die Karteikarten habe ich ausgefüllt und nichts verschwiegen. Auch die zwei Rettungsringe habe ich aufgeschrieben. Als die Bänke und Schränke aus den Auskleidekabinen weggetragen wurden, war ich nicht dabei. Die Verwalterin hat mich angewiesen, die beiden Holzbänke aus der Halle nicht aufzuschreiben. Eine davon hat sie für sich genommen, die andere steht noch da. Vergiss das Wasser nicht, hatte der Hausmeister mir höhnisch zugerufen; da war das Schwimmbad schon halb leer.
Manchmal scheint mir, ich hätte wochenlang geschlafen. Dort unten im Heizungskeller hört man keinen Laut, kann nicht einmal wissen, ob überhaupt noch einer lebt. Unzählige Leute sind hier ein und aus gegangen. Man will die Hand heben und etwas sagen, doch da ist keiner, und keiner dreht sich um. Ich weiß nicht, ob es Spitzel gab. Frau Karpfe und der Hausmeister wollten das Becken leer, das Schwimmbad geschlossen sehen. Sie hören jedes Wort, hat Klaus mir zugeflüstert, als er noch in die Schwimmhalle kam. Aber sie sind ja gar nicht da, wandte ich einmal abends ein, nachdem alle außer uns schon gegangen waren. Was glaubst du denn?, sagte Klaus. Sie haben Bänder und nehmen alles auf.
Hören Sie? Wenn keiner heizt, werden die Wände feucht. Die Kacheln lösen sich, fallen aus der Wand, zerschellen auf dem Boden. Im Becken sind die Kacheln türkis und an den Wänden sind sie weiß. Die Löcher in den Wänden sehen aus wie Wunden, und wer geglaubt hat, das Schwimmbad sei aus Stein gemauert, wird eines Besseren belehrt. Nachts liege ich wach und weiß, die Wände sind aus Eisenstangen und aus Mörtel, und in den Mörtel kann man alles mischen, was sich feinmahlen lässt, Flusskies und Knochenmehl und Stroh und Lumpen. Das Volksbad ist aus Abfällen gebaut. Wenn keiner mehr hierherkommt, ist das nicht meine Schuld. Ich musste das Wasser ablassen, sonst hätte es der Hausmeister getan. Der alte Bademeister hat mich gewarnt. Selbst zu den Wannenbädern kam kaum noch einer. Sie haben mich dorthin geschickt, damit ich nicht sehe, was sie unten machen. Die Aktenschränke im Büro haben sie ausgeräumt, einen Teil der Unterlagen in den Heizungskeller getragen. Schwimmhalle und Auskleidekabinen sind leergeräumt, nur eine Holzbank steht noch da. Wenn dir die Wannenbäder nicht passen, kannst du ja gehen, drohte mir der Hausmeister. Wohin hätte ich gehen sollen?
Wer bei den Wannenbädern arbeitete, blieb nicht lange. Es waren immer die Älteren, die dort arbeiteten, und in den letzten Jahren kamen auch nur noch ein paar Alte, um zu baden.
Für einen Bademeister ist das keine Arbeit.
Zwischen den Kabinen gibt es eine Kammer. Sie saßen dort zu zweit, ein Mann und eine Frau, behielten die Uhr im Auge und trieben die Leute an, wenn ihre Zeit abgelaufen war. Sie ließen Wasser ein, putzten die Wannen, ließen wieder frisches Wasser ein und blieben in der Nähe, falls einer stürzte oder rief, denn das heiße Wasser schwächt den Organismus. Sie wischten die Badewannen aus, beseitigten den groben Schmutz, doch mittags und am Abend machten Putzfrauen gründlich sauber, desinfizierten die Bäder, und wer für die Wannenbäder verantwortlich war, hatte nicht viel mehr zu tun, als einen nach dem anderen hereinzulassen und dafür zu sorgen, dass er wieder ging.
Es waren alte Leute, die dort badeten, meine Mutter könnte darunter gewesen sein, aber wir haben immer ein Bad gehabt, und meine Mutter verließ das Haus nur selten. Die alten Körper riechen schlecht, nach Einsamkeit, nach Krankheit riechen sie, ins Schwimmbad würde man sie ungern lassen. Sie sehen aus, als müssten sie bald sterben. Im Schwimmbad sterben Leute nicht, würden dort allenfalls ertrinken, und dafür ist ein Bademeister da.
Für mich gab es nichts zu tun. Wer vor mir dort gearbeitet hatte, war schon entlassen, und eine Aufsichtsperson für die Frauen gab es nicht mehr. Christa musste sich um die Frauen kümmern und schimpfte laut, während sie schmutziges Badewasser abließ oder eine Wanne säuberte, und schließlich sagte sie zu Frau Karpfe, ich könnte mich auch um die Frauen kümmern. In der ersten Woche waren es noch fünf oder sechs
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