Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
eine Antwort wusste, herrschte Schweigen. Von Westen zog eine fast schwarze Gewitterfront herauf, der Wind wurde kühler und bewegte sanft die Oberfläche des Teiches.
    »Mein Gott«, sagte Tessa gerührt.
    »Es ist unglaublich«, murmelte ihr Vater.
    Esther schüttelte den Kopf. »Wie sollen wir den Mann identifizieren?«
    »Das wird schwierig werden«, nickte Rodenstock. »Ich bin müde, ich lege mich aufs Bett.«
    Wenn er das sagte, wussten wir, dass er nachdenken wollte.
    Er murmelte: »Viel wissen wir nicht, aber wenn jemand ein Ticket für Maria Hansen nach Amerika bezahlte, dann wissen wir, dass es kein Bauer gewesen sein kann, kein Handwerker, sondern ein Mann mit Geld. Und also muss es entweder der Medizinalrat, der Richter, der Apotheker oder der Steuereintreiber gewesen sein. Die sind die Einzigen, die in Frage kommen. Macht es gut. Haben wir eigentlich den Namen des Apothekers?«
    Vater Schmitz nickte lapidar. »Michael Toombers hieß der Mann. Keine Familie, Junggeselle, 1848 in Gillenfeld geboren, also vierzig Jahre alt, als Tutut erschlagen wurde.«
    »Lassen wir den Wilhelm Castendyck nicht aus, den Sprudelgründer«, warf ich ein. »Vielleicht hat das alles mit der angeblichen Liebesgeschichte nichts zu tun, vielleicht hat Castendyck ein gutes Herz und zahlt der geprügelten Frau die Schiffspassage. Einfach so. Es war einmal in einem ganz anderen Zusammenhang die Rede davon, dass Castendyck durchaus zu solchen großzügigen Gesten fähig war.«
    »Ich glaube nicht an eine solch harmlose Erklärung«, sagte Tessa. »Ich friere.«
    Ingbert zog sein Jackett aus und hängte es ihr um die Schultern. »Du solltest mal ein paar Stunden schlafen«, sagte er liebevoll.
    Vater Schmitz starrte wortlos in den Himmel.
    »Ich fahre zu Ben«, sagte ich. »Ich will den zweiten Brief lesen.«
    Tessa wollte mit, Esther wollte mit, und ich sagte selbstverständlich ja, weil es sich ausgesprochen gut macht, mit zwei hübschen Frauen durch die Eifel zu ziehen und dabei so zu tun, als hätte man mit beiden etwas. Das schmiert die Gerüchteküche, das lässt den Klatsch vibrieren.
    Wir rollten also gemächlich über Heyroth, Niederehe und Kerpen durch den Sommertag. Ben war nicht da, Ben stand hinter den Töpfen. Seine Andrea sagte hell: »Na sicher könnt ihr das Ding haben.«
    »War das ein Verwandter?«, fragte ich.
    »Deswegen hängt es nicht an der Wand«, sagte sie. »Wir fanden nur, es ist ein schöner Brief. So einfach ist das. Er war ein entfernter Verwandter von Ben, irgend so etwas wie der Bruder vom Cousin des Urgroßvaters oder so. Ben weiß nicht mal, wer ihm den Brief gegeben hat.«
    Tessa nahm die Glasplatte von der Wand und las vor:
    »Mein Sohn in Hillesheim!
    Ich muss Dir großen Kummer machen. Mutter ist zum Herrgott gegangen, und wir alle stehen hier mit leeren Händen und fühlen großen Schmerz. Sie hat nicht geklagt, und sie hat auch nicht lange unter Krankheit gelitten. Sie hat gehustet, immerzu gehustet. Das fing in der Weihnachtszeit an. Es war streng kalt, aber wir hatten alles. Genug Ofenholz, reichlich zu essen, es mangelte an nichts. Mutter hatte sich sagen lassen, wie man eine Limonade selbst macht. Und einiges davon haben wir sogar verkauft. Sie hustete immerzu, sodass ich in der Stube nicht einmal meine Pfeife rauchen konnte, ohne dass sie hustete. Auch durfte der Kamin nicht rauchen. Es war schlimm. Dann reiste ein Quacksalber durch, der eine Medizin gegen Husten hatte. Aber ich denke, es war nichts anderes als billiger Schnaps. Dann hat dein Bruder Gerhard vorgeschlagen, sie nach Chicago zu bringen zu einem richtigen Arzt, aber das ging nicht, weil sie schon sehr schwach war und wir nicht wussten, wie wir sie durch die Kälte transportieren sollten. Dann kam Maria Hansen vorbei.
    Sie wartete noch immerzu auf ihren geheimnisvollen Freund - sie sagte aber nichts und hatte ein vergrämtes Gesicht. Und sie pflegte Mutter Tag und Nacht. Und anfangs wurde es viel besser, und am Heiligen Abend habe ich Mutter einmal lachen hören. Aber dann wurde es eisig kalt und danach sehr warm mit viel, viel Regen und Nebel, dann wieder eisig. Viele Nachbarn kamen und gaben uns guten Rat, und Maria Hansen nahm jeden Ratschlag an. Aber der Herrgott hatte Mutters Uhr gestellt und ließ es nicht zu, dass sie gesundete. Ich habe gehadert mit ihm, ich gestehe es ein, denn sie ist die Mutter meiner Kinder und auch Deine Mutter. Maria pflegte sie mit Mühe. Den 22. Januar ist sie dann eingeschlafen, und ihre

Weitere Kostenlose Bücher