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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Apotheker oder Steuereintreiber verwandt ist. Man müsste herausfinden, warum ausgerechnet dieser Mehring die Dokumente besitzt. Ein alter, bitterer Mann wird uns nicht helfen.«
    »Was würden wir denn diesem Mehring sagen?«
    »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich ist die Wahrheit das Beste. Wir versuchen, den Fall zu lösen.«
    »Was ist, wenn er sich weigert, wenn er sich einfach weigert?«
    »Dann ist nichts«, sagte Rodenstock düster. »Wir können ihn nicht zwingen.«
    Er machte eine fahrige Bewegung mit beiden Händen. »Ich gehe noch immer von der Tatnacht aus, noch immer dieselbe Szene. Da hockt ein Zigeuner an seinem Feuer. Dann kommt der Täter. Egal, ob er sofort angreift oder erst später: Es kommt zu einem Totschlag. Zweiter Punkt: Der Bär befreit sich. Wahrscheinlich in einem Wahnsinnsstress. Er reißt sich los. Was passiert dann?«
    »Wahrscheinlich verschwindet der Bär im Wald. Er muss verschwunden sein, weil sie dann gekommen sind, haben die Leiche und das tote Pferd aufgeladen und verscharrt. Der Bär muss verschwunden sein.«
    Rodenstock lächelte. »Nicht sofort. Denk dran, der Bär ist mit diesem Zigeuner verbunden. Der gibt ihm seinen Fraß, der teilt mit ihm sein Lager, der geht mit ihm um wie mit einem Kumpel, der ...«
    »Du meinst, der Bär geht auf den Mörder los?«
    »Das meine ich. Das ist logisch, oder? Angenommen, der Bär hat diesen Täter angegriffen. Was ist danach geschehen?«
    »Der Mörder braucht einen Arzt.«
    »Richtig. Braucht er. Und der nächste Arzt heißt Dr. Xaver Manstein und sitzt in Gerolstein. Und wahrscheinlich ist dieser Arzt ein vertrauter Mann, ein Freund fast.«
    »Gibt es einhundertelf Jahre alte Patientenakten?«
    Rodenstock grinste. »Wenn es sie gibt, dann hat sie der Gustav Mehring. Wir suchen also einen von einem Bären verwundeten Mann. Wie kommen wir weiter? Und vor allem: Wen können wir da fragen?«
    »Die Kassenärztliche Vereinigung in Trier«, sagte ich. Da leuchtete plötzlich das Licht am Ende des Tunnels.
    »Ich werde mal telefonieren«, murmelte er. »Ich kenne da einen Spezialisten, der für die Mordkommission arbeitete. Und der ... der hatte irgendwelche Bedeutung in diesem Haufen. Lass mich mal machen.«
    Er griff sein Handy, wählte und sagte: »Gibt es bei Ihnen noch einen gewissen Dr. Helmholtz, Dr. Martin Helmholtz? Oh, das ist nett...«
    Der Rest verlor sich im Unhörbaren.
    Esther kam in den Garten geschlendert. »Es ist so, dass ich irgendwie todmüde bin. Dabei haben wir doch nichts getan.«
    »Diese Fälle fressen viel Energie«, klärte ich sie auf. »Wir haben es erlebt, dass wir alle drei tagsüber eingeschlafen sind. Vielleicht legst du dich einfach ein paar Stunden aufs Ohr. Wie geht es dir denn eigentlich?«
    »Erstaunlich gut«, sagte sie zufrieden. »Ich würde wirklich zu gern wissen, wer Tutut erschlug.«
    »Wahrscheinlich ist die Lösung wie immer sehr einfach, wir haben nur noch nicht den richtigen Knopf gefunden. In der Regel ergibt sich immer eine ganz einfache lineare Struktur.«
    »Klingt richtig halbgebildet«, spottete sie. »Und Erfahrung habe ich keine. Aber in diesem Fall kann von einer linearen Struktur kaum die Rede sein. Ich rede von einer Liebesgeschichte, von zwei Liebesgeschichten. Das war das Chaos. Und das Chaos fand einen Weg zu Tutut. So sehe ich das.«
    »Das klingt erstaunlich klug«, nickte ich. »Geh doch ein paar Stunden schlafen.«
    »Das mache ich«, nickte sie. »Hast du einen Schnaps im Haus?«
    »Da muss doch noch der Kognak sein, der von Rodenstock, weißt du doch. Steht irgendwo in der Küche.«
    »Wer ist denn der Typ in der Küche?«
    »Er sagt, er wäre ein Schamane. Er schnorrt, er ist ein Penner, er ist irgendwie zu mir gestreunt. Wahrscheinlich hat ihm jemand gesagt, ich sei gutmütig. Und ausnahmsweise stimmt das Gerücht. Deine über alles geliebte Tante Emma kümmert sich um ihn. Brauchst du Schnaps, um zu schlafen?«
    »Manchmal«, nickte sie sehr sachlich. »Manchmal ist das so.« Dann ging sie in das Haus zurück.
    Rodenstock telefonierte immer noch, ich hörte ihn leise lachen. Von der Kirche her kam der alte Lastwagen der Leute, die Alteisen und Ähnliches sammeln. Der auf dem Nebensitz schwang die kleine Glocke. Irgendwie war mir die Zeit abhanden gekommen. Es ging auf den Abend zu, der Tag hatte sich in meinem Bewusstsein fast zu Tode gehetzt. So viel war geschehen, so viel war neu, und noch immer hatten wir uns der Kardinalfrage nicht einmal vorsichtig nähern können.

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