Der Bär
letzten Worte sollen bewahrt werden: Gott nimmt mich zu sich. Es waren traurige Tage. Du kennst ja die große Eiche unten am Fluss. Dort haben wir sie beerdigt, und Gunnar, der Schwede, hat einen roten Stein gemeißelt. Die Inschrift lautet: Requiescat in Pacel Amalia Schmitz aus der Eifel ruht hier im Herrn. Und dann das Datum. Dann haben wir noch eine Fotografie gehabt, die in den Stein eingelassen ist und darüber ein Glasstück, sodass jeder sehen kann, wie hübsch sie war. Das ist hier so Sitte, die Italiener machen das alle so. Der Winter brachte noch viele Schnees türme, und es wurde gesagt, dass auf dem anderen Ende des großen Sees ein ganzer Indianerstamm mit Mann und Maus erfroren ist. Wir haben gehört, dass das Land weit im Süden noch fruchtbarer ist als hier. Und das Land, welches in California liegt, soll noch fruchtbarer sein, dort soll es keine Winter geben, nur Sonne und manchmal Regen. Maria Hansen sagte, sie würde wohl dorthin gehen, und ich soll doch die Kinder nehmen und mitgehen, weil dort keine strengen Winter sind und wir drei Ernten von allem haben können, was wir setzen.
Hier kann ich kein Land dazukaufen, es ist alles verteilt. Im Westen kann ich das. Die Reise wird zwei Monate dauern, und man muss in einem Zug fahren, also in einem Treck, wie das hier heiß. Wir haben immerzu in der Stube bei einem warmen Feuer gesessen und überlegt.
Und dann hat Maria Hansen gesagt, dass der Steuereintreiber Karl-Heinrich Wesendonker der Mann war, der mit ihr nach Amerika gehen wollte. Und die Schiffspassage hat er auch bezahlt. Aber er ist nicht gekommen, und sie weiß nicht warum. Sie sagt, dass er ein freundlicher Mann war, aber dass er Unglück hatte, weil seine Frau, die mit ihm im Schnigger-Haus lebte, den Richter Severus Brandscheid liebte. Es war wohl ein großes Durcheinander bei den erlauchtigsten Herren. Aber mehr wusste sie auch nicht. Wir ziehen den 25. Mai los von hier, und Maria Hansen sagt, dass sie den Namen Hansen nicht tragen will, weil er sie so grausam behandelt hat. Es wird wohl so sein, dass wir zusammenbleiben, denn sie ist eine kräftige und fröhliche Frau. Wenn ich weiß, wo mein Platz ist, werde ich Dir wieder schreiben, geliebter Sohn.
Dein Vater Berthold Schmitz.«
»Der Fall ist also gelöst«, murmelte Tessa nach einer Weile.
»Nicht die Spur«, sagte ich. »Wir wollten doch wissen, wer Tutut tötete. Und das wissen wir immer noch nicht. Im Gegenteil, der Fall ist verzwickter geworden, nicht mehr so einfach. Sieh einer an, der Richter, der den Drachen liebte.«
»Das ist irre«, hauchte Esther. »Eine richtige Dreiecksgeschichte, eine richtige Seifenoper. Da muss aber doch in der Herrenrunde einiges schiefgelaufen sein.«
»Lasst uns fahren«, sagte ich. »Es ist noch ein langer Weg bis zu Tututs Mörder. Karl-Heinrich Wesendonker kann es gewesen sein, der Richter Severus Brandscheid auch. Aber vielleicht hatten sie einen Helfer, vielleicht hatten sie jemand, der die Arbeit für sie machte. Vielleicht war das ein Arrangement unter Gentlemen. So was soll vorkommen.«
Tessa nahm den Brief und ging aus dem Haus, um ihn kopieren zu lassen. Zehn Minuten später fuhren wir wieder, und wir waren verwirrter als vorher. Sicher, es schien eine Liebesgeschichte gewesen zu sein oder sogar zwei. Aber was hatte Karl-Heinrich Wesendonker davon abgehalten, seiner Maria in die Vereinigten Staaten zu folgen? Und was war aus seiner Frau geworden? Und was aus dem Richter Severus Brandscheid?
Ich ging hinauf in mein Arbeitszimmer und legte The Jimmy Rogers All-Stars auf, fröhliche Musik mit sehr viel Swing und einem großen Schlag Ironie. Im Garten hockten die Frauen, Rodenstock im Gästezimmer war nicht zu hören, das Haus war sehr still. Meine Kater drückten sich unter dem Schreibtisch herum und legten sich auf die Seite, um zu schlafen. Schwärzester Chicago Blues und ein wenig dahinter immer das Bewusstsein, dass Jimmy Rogers all das nicht mehr erleben konnte. Bei That's alright, der Clapton-Nummer, drehte ich ab. Zu viel Tod, zu viel Melancholie und keine Spur von Licht in Tututs Fall.
Dieser Berthold Schmitz, der einfache Bauer aus Rockeskyll. Wer zum Teufel war er eigentlich? Nur ein völlig verarmter Landwirt aus einer damals völlig verarmten Eifel? Er hatte einen Haufen Kinder, er war vorbestraft, weil er im Wald Holz geklaut hatte, um nicht zu erfrieren. Holzfrevel hieß das, schien ein Verbrechen gewesen zu sein. Und dieser Mann, der kein Wort richtig zu schreiben
Weitere Kostenlose Bücher