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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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nach Amsterdam.«
    »Jetzt? Am Abend?«, fragte ich.
    »Genau jetzt«, nickte Emma. »Sie muss früh dort sein, um gut voranzukommen. Sie kann meinen Wagen nehmen. Ich will wissen, ob dieser Wesendonker das ernst nahm mit der Liebe.«
    »Da wittere ich Frauensolidarität«, murmelte ich.
    »Da kannst du Gift drauf nehmen«, schnaubte sie. »Wir waren immer die Betrogenen, wir wurden immer beschissen.Vielleicht wollte er nur seinen Spaß, vielleicht hat er nie vorgehabt, nach Amerika zu gehen, vieleicht war Amerika das Lockmittel, sie ins Heu zu kriegen.«
    Rodenstock nahm Esther mit in den Garten und instruierte sie genau. Wenig später brach sie nach Amsterdam auf. Sie sollte in alten Passagierlisten stöbern, sie sollte auf Maria Hansen und Karl-Heinrich Wesendonker stoßen, sie sollte den Leuten, die heute die Transatlantik-Routen bedienten, Löcher in den Bauch fragen.
    Bevor sie vom Hof rollte, bemerkte sie: »Soweit ich weiß, ist das der erste richtige Job meines Lebens, der mir Spaß macht.«
    Der Schamane kam von irgendwoher angeschlurft. »Leute, ich will mich verabschieden. Es ist noch früh, ich will runter zur Mosel.« Er lächelte zaghaft.
    »Wieso das?«, fragte Emma. »Du wirst irgendwann anfangen, Wein zu trinken.«
    »Das ist richtig«, nickte er. »Oder auch nicht. Ich muss weiter, Leute.«
    »In deinem Fall soll man Reisende nicht aufhalten«, sagte Rodenstock. »Brauchst du ein bisschen Geld?«
    »Was ist ein bisschen?«, fragte er grinsend.
    »Weiß ich nicht. Fünfzig Mark?«
    »Das ist ein großes bisschen«, nickte er. »Das würde ich annehmen.«
    Rodenstock gab ihm einen Schein. »Und sieh mal zu, dass du an Deck bleibst. Du hast uns geholfen.«
    Er hatte einen schiefen Mund. »Ihr wärt auch dahin gekommen, die Szene so zu sehen, wie ich sie sehe.«
    »Wären wir«, nickte ich. »Gute Reise.«
    »Ich danke euch, Freunde.« Er ging einfach so, wie er gekommen war; er hatte kein Gepäck, er wollte auch keins.
    »Zu Dr. Martin Helmholtz nach Trier«, bestimmte Rodenstock.
    Wir stiegen in mein Auto und fuhren los. Schon ab Hasborn tobte ein Sommergewitter, der Himmel war rabenschwarz, im Südwesten schwefelgelb.
    Unter den Brücken standen viele Motorradfahrer, um zu warten, bis der Regen vorbei war.
    Rodenstock und Emma unterhielten sich leise über Esther. SWR 3 schaltete sich ein und teilte gut gelaunt mit, dass auf der 61 in Höhe Koblenz nach einem Unfall ein Stau zu melden sei - bis jetzt sechs Kilometer lang. Mein Handy meldete sich.
    Es war Dr. Michael Winter von SWR 3. Er sagte: »Ich bin weitergekommen in der Sache mit der Arisierung jüdischen Eigentums. Haben Sie Zeit, eine Minute zuzuhören?«
    »Habe ich.«
    »Also gut, wir wissen ja, dass an der Ahr mitten in einem Ort drei Menschen in einer Woche an Grippe starben. Sie wurden beerdigt, das Haus ging später in den Besitz der örtlichen Konsumgesellschaft über. Und es ist ziemlich sicher, dass sie nicht an Grippe starben.«
    »Selbstmord?«
    »Nicht unbedingt, aber durchaus im Bereich des Möglichen. Sie waren zu dem Zeitpunkt rund siebzig Jahre alt. Sie waren vollkommen isoliert, sie durften keine Lebensmittel kaufen, sie bekamen keine Lebensmittelmarken. Niemand sprach mit ihnen. Ein Leben lang waren sie angesehene Bürger, jetzt waren sie Aussatz. Der Vater, die Mutter, die Tante. Und sie wussten, dass die beiden Söhne in das Gas transportiert werden sollten. Ich nehme als gegeben an, dass sie vollkommen abgemagert waren, sodass die kleinste körperliche Störung zum Tod führen konnte. Sie sind einfach vor sich hingestorben. Hatte der Arzt aus Bad Neuenahr denn eine andere Wahl, als Tod durch Grippe zu konstatieren?«
    »Hatte er nicht«, sagte ich. »Es war auch egal. Grippe war in dem Zusammenhang nur ein Wort für das Ende. Er hätte auch Lungenentzündung konstatieren können oder irgendetwas anderes. Aber wie kommen wir weiter?«
    »Es gibt irgendwo in der Gegend von Mannheim und Ludwigshafen eine Verwandte, die sehr viel zu wissen scheint. Sie sagte mir am Telefon, dass sie sogar eine Personenbeschreibung von Moses Bär hat. Was wir von ihm wissen, ist spärlich. Aber jetzt können wir uns ein Bild machen, wie er aussah. Das Bild stammt von dem Maler Schorsch Kreuzberg aus Dernau, der sich daran erinnerte, wie dieser Jude aussah. Kreuzberg ist gestorben, aber vorher diktierte er dieser Verwandten einige Einzelheiten auf einen Recorder. Danach war Moses Bär ein kleiner, freundlicher Mann. Es gibt

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