Der Bann des Zeitreisenden (German Edition)
»Keiner von ihnen ist zurückgekommen.«
Rions Vision führte ihn an einen Ort, den er nicht erkannte. Ein Mann saß auf einem Stuhl; die Arme waren ihm hinter dem Rücken zusammengebunden. Rion konnte das Gesicht des Gefangenen nicht erkennen; er sah nur den Rücken. Vor ihm stand ein Unari-Folterer und leuchtete ihm mit einem strahlend hellen Licht in die Augen.
»Wie viele Rebellen gibt es?«
»Ich weiß es nicht.« Die Stimme des Mannes war leise und schmerzverzerrt.
Eine Peitsche ging nieder und der Gefangene schrie auf.
»Wo verstecken sich die Rebellen?«
»Ich weiß nicht.«
Die Peitsche ging abermals nieder. »Dann sag mir, was du weißt.«
»Worüber?«
Wieder wurde er ausgepeitscht. »Verrate mir, wie wir die Rebellen töten können.«
»Das habe ich doch schon gesagt. Nehmt ihnen die Nahrung weg. Sorgt dafür, dass sie das Platin in den Bergen nicht erreichen können. Mehr kann ich euch nicht sagen.«
»Sonst nichts?«
»Ich habe euch alles gesagt.« Der Mann hob den Kopf und sagte trotzig: »Ihr seid es doch, die euer Wort nicht gehalten haben.«
»Warum sollten wir gegenüber einem Verräter unser Wort halten?«
Ein Verräter? Die Vision verblasste. Aber Rions Gedanken kreisten weiter um diese neue Information.
Weder war er überrascht noch schockiert oder auch nur enttäuscht darüber, dass jemand unter der Folter Einzelheiten preisgab. War der Mann aber wirklich ein Verräter?
Wenn ja, gehörte er auch zu den Unari? Oder zu den Ehroniern?
Marisa behielt Rion wachsam im Auge. Nun hatte er wieder diesen glasigen Blick, und sie wusste, dass er gerade eine Vision hatte. Aber er sagte nichts, und Lex schien es gar nicht zu bemerken.
Lex sprach währenddessen weiter; seine Stimme klang leise und nachdenklich. »Neben unserer Rebellengruppe gibt es noch weitere, die um die Hauptstadt herum verstreut sind. Ihr hattet Glück, dass wir Euch vor den Unari gefunden haben. Möglicherweise ist ihnen bekannt, dass wir uns in Winnhaven befinden, aber bisher haben sie keine Ausfälle bis hierher unternommen.«
»Warum nicht?«, fragte Marisa.
»Vermutlich wissen sie, dass sie nur ein paar Monate warten müssen, bis wir alle verhungert sind.«
»Ihr bewegt euch in kleinen Gruppen, um der Entdeckung zu entgehen?«, fragte Rion.
»Ja. Wir verständigen uns zwar untereinander, aber wir haben nicht die Mittel, viele Menschen an diesem Ort zu ernähren und zu verstecken. Eure Vision traf tatsächlich zu. Wir haben den Keller von Winnhaven zu einer riesigen Kinderstube umgebaut.«
»Die armen Kinder«, sagte Marisa. »Wie ertragen sie die Schmerzen?«
»Glücklicherweise spüren sie sie nur, wenn sie sich in Drachen verwandeln und das Platin zu sich nehmen«, erklärte Lex.
Rion fluchte. »Aber Kinder – und auch kleine Kinder – brauchen das Metall doch öfter als Erwachsene.«
Lex nickte und blickte grimmig drein. »Darum müssen sie sich häufiger verwandeln, aber immer nur ganz kurz, der Göttin sei Dank.«
»Gibt es auch Frauen in Winnhaven?«, fragte Marisa.
»Nicht viele. Manchmal bitten uns einige, die der Versklavung entkommen sind, ihre Kinder aufzunehmen. Aber wir haben nicht genug Nahrung für alle und müssen die meisten Erwachsenen abweisen. Wir hätten auch Erik nicht aufgenommen, wäre er nicht der Kronprinz gewesen – zumindest haben wir das bis zu Eurer Ankunft geglaubt.«
»Wie finden die Eltern der Kinder zu euch?«, wollte Marisa wissen.
»Es gibt ein Untergrund-Netzwerk in der Stadt, und überall schwirren Gerüchte umher. Viele Eltern stolpern blindlings durch die Wälder, und dann finden wir sie so, wie wir Euch gefunden haben.«
»Gibt es Rebellen in den Städten?«, fragte Rion.
»Jedes einzelne Gebäude in den Städten Chivalris ist abgerissen worden. Aufgelöst durch gigantische Laser.«
Rion zuckte zusammen. »Alle?«
»Keines ist übrig geblieben. Es gibt überhaupt keine Städte, keine Dörfer, auch keine Gehöfte mehr. Nur der Königspalast in der Hauptstadt sowie dieses einsame Gebäude hier und noch einige wenige andere sind der Vernichtung entgangen.«
»Und wo leben die Ehronier und die Unari?«
»Die gefangenen Ehronier werden eingepfercht wie Tiere im Freien gehalten. Die Unari leben vermutlich in Teilen des alten Palastes. Den Gerüchten zufolge steht er noch.«
»Und was ist mit den anderen Ländern jenseits von Chivalri?«, fragte Marisa.
»Es gibt Gerüchte über Rebellengruppen, doch weiß man nichts Genaues.« Lex hielt inne. »Jetzt
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