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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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fest, dass er trotz seiner morgendlichen Generalprobe für das nächste Aufeinandertreffen außerstande war, eine geistreiche Antwort zu liefern. Er fühlte sich von ihr aufgefordert, sein Verhalten der letzten paar Tage zu verteidigen, und stellte fest, dass er es nicht konnte. Und jetzt, außerhalb der tristen Umgebung der Bibliothek, ärgerte er sich umso mehr darüber, wie irrational – wie unhöflich er gewesen war. Und alles wegen eines Tisches.
    Sie wartete immer noch auf seine Antwort. Sein Blick schweifte ab, und er bemerkte das Buch, in dem sie gelesen hatte, eine abgegriffene Übersetzung von
Gesta Hunnorum et Hungarorum
von Simon von Kezá. «Ihnen ist klar, dass dieses Werk größtenteils erfunden ist?», fragte er.
    «Natürlich. Und Ihnen ist sicher klar, dass es einer der ältesten erhaltenen Texte ist.»
    «Wonach suchen Sie? Vielleicht kann ich Ihnen helfen?»
    «Wenn ich einen Tisch suche, Charles, lasse ich es Sie wissen.»
    Er nickte. «Okay. Ich habe es verdient.»
    «Allerdings.»
    «Hören Sie, vielleicht darf ich Sie zu einer Tasse Tee einladen? Um mich zu entschuldigen.» Er blinzelte erschrocken. Woher um alles in der Welt waren die Worte gekommen? «Ich meine, vielleicht möchten Sie ja über einen bestimmten Aspekt der ungarischen Geschichte diskutieren …»
    Sie klappte das Buch zu und richtete sich auf, und er stellte überrascht fest, dass sie fast gleich groß waren. «Nein, Charles. Ich möchte nicht darüber diskutieren.»
    Er hob beschwichtigend die Hände. «Kein Problem.»
    Sie kramte in ihrer Tasche und zog einen Schlüsselbund hervor. «Ich muss los.»
    «Ja. Sicher.» Er trat zurück, sodass sie an ihm vorbei konnte, und seine Unbeholfenheit schmerzte ihn beinahe körperlich.
    Sie schloss den Hillman auf und warf ihre Tasche auf den Beifahrersitz. Drehte den Zündschlüssel und setzte ihn zurück auf die Straße. Dann kurbelte sie das Fenster herunter. «Keine Sorge, Charles. Morgen sehen Sie mich zum letzten Mal.» Sie legte den Gang ein und fuhr davon.
     
    Am Samstagvormittag auf dem Weg durch den sommerlichen Verkehr zum Campus fragte er sich zum wiederholten Mal, ob sie tatsächlich ein letztes Mal auftauchen würde. Abgesehen von ihrem Namen wusste er immer noch überhaupt nichts von ihr oder warum es ihm so wichtig war, dass sie Oxford mit einem besseren Eindruck von ihm verließ. Er wusste nur, dass es ein Desaster wäre, vor ihr in der Bibliothek zu sein und sich an den elenden Tisch zu setzen, weswegen er sich bis nach zehn Uhr Zeit ließ, bevor er auch nur in die Nähe des Bibliotheksgebäudes ging.
    In der Bibliothek war es ruhig, lediglich ein paar vereinzelte Leser an weitverstreuten Tischen. Er durchquerte die Reihen von Regalen und fand sich unter den Blicken von St. Catherine und dem alten Abbot wieder.
    Sein Tisch war leer.
    Charles stand für einen langen Augenblick davor, vollkommen unvorbereitet angesichts der Enttäuschung, die sich in ihm ausbreitete. Er zog den Stuhl heran und setzte sich hin, um nachzudenken.
    Er kannte ihren Namen. Und er wusste, dass sie Französin war. Es war wenig mehr als nichts. Er saß eine geschlagene halbe Stunde da und wartete, während sich seine Stimmung nach und nach verfinsterte. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass sie nicht mehr kommen würde. Er erhob sich zum Gehen. Als er den Schalter am Eingang passierte, hob Pendlehurst den Blick. «Diese junge Französin hat Ihnen was dagelassen!», rief er.
    Charles spürte, wie sich seine Stimmung augenblicklich hob. «Sie war hier?»
    «Sie war schon ganz früh da. Hat eine Weile an Ihrem Tisch gesessen, dann hat sie mir diesen Zettel für Sie gegeben und ist gegangen.»
    Er fluchte innerlich, als ihm bewusst wurde, dass er sie um eine halbe Stunde verpasst hatte. Pendlehurst reichte ihm einen gefalteten Zettel, der aus einem Notizbuch herausgerissen worden war. Hastig faltete er ihn auseinander.
    Ki korán kel, aranyat lel
    Es war Ungarisch. Doch er konnte es nicht übersetzen.
    «Hat sie etwas gesagt?»
    «Nur, dass sie nicht länger warten könne und gehen müsse.»
    «Hat sie gesagt, wohin sie geht?»
    «Ich hab sie nicht gefragt.»
    «Verdammt.»
    «Ist alles in Ordnung?», fragte Pendlehurst.
    «Kennen Sie jemanden, der Ungarisch spricht?»
    «Ich denke, am besten wenden Sie sich an Beckett.»
    «Kann ich das Telefon benutzen?»
    Charles brauchte zehn Minuten, um Beckett aufzuspüren. Eine weitere Minute später hatte er seine

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