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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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wieder geöffnet und die an ihm vorbeieilenden Studenten mit bösen Blicken bedacht hatte, kehrte Charles in das Gebäude zurück. Er ging zu dem an einem Schreibtisch sitzenden Pendlehurst und legte dem Mann den Arm auf die Schulter. «Hören Sie, ich brauche einen Schlüssel. Ich muss morgen früher anfangen. Viel früher.»
     
    Am nächsten Morgen sperrte Charles die Tür zur Bibliothek um acht Uhr auf, lange bevor die anderen Gelehrten eintrafen. Sein Tisch war wunderbar frei. Mit einem Blick zum friedvollen Holzgesicht von St. Catherine und einem stillen Nicken zum alten Abott setze er sich an seinen Tisch und öffnete seine Tasche. Er nahm seine Bücher hervor und schichtete sie zu einem ordentlichen Stapel, das größte unten, das kleinste zuoberst, jeder Band präzise zentriert auf dem darunterliegenden wie eine kleine Pyramide. Er legte einen Notizblock vor sich, eine Handspanne von der nächsten Schreibtischecke entfernt und in gleichem Abstand von den jeweiligen Rändern. Dann zog er drei Kugelschreiber und einen Bleistift hervor und legte sie nebeneinander über den Block. Die jeweilige Beschriftung seiner Schreibgeräte zeigte in einem präzisen Fünfundvierzig-Grad-Winkel in seine Richtung.
    Zufrieden mit dem Arrangement der Werkzeuge, ließ Charles den Blick durch die Bibliothek schweifen, während er überlegte, wo er anfangen sollte. Die Entscheidung erwies sich als schwierig. Ganz gleich, wie sehr er sich auf den Princeton-Vortrag konzentrierte, er stellte fest, dass seine Gedanken immer wieder um die genauen Worte des Satzes kreisten, den er sagen würde, wenn die Frau um neun Uhr zur Öffnungszeit kam und ihr Territorium beanspruchte.
    Nichts Zickiges – dazu würde er sich nicht herablassen. Er brauchte etwas Subtiles. Etwas Elegantes. Etwas, das seine Überlegenheit unterstrich, während es zugleich zeigte, dass er selbst als Sieger noch liebenswürdig war.
    Der genaue Inhalt dieses Satzes änderte sich im Verlauf der nächsten Stunde mehrmals, während er daran herumpolierte und schliff und feilte und das eine oder andere verborgene Sujet hinzufügte oder wieder strich.
    Um zehn Uhr war sie immer noch nicht da.
    Um elf sagte er sich, dass sie nicht kommen würde.
    Um Viertel nach elf stellte er bestürzt fest, dass er über den ganzen Morgen hinweg noch keinerlei produktive Arbeit geleistet und fast drei Stunden damit zugebracht hatte, an einem ebenso sinnlosen wie selbstgefälligen Satz zu basteln, um selbigen einer jungen Frau ins Gesicht zu schleudern, der er in seinem Leben erst zweimal begegnet war.
    Gegen Mittag hatte er sich selbst in einen derartigen Malstrom aus Wut manövriert, dass er von seinem Tisch aufsprang und seine Unterlagen in die Tasche schaufelte. Er beschloss, den Campus für den Tag komplett zu verlassen, stapfte aus der Bibliothek und überquerte die Straße zu der Stelle, wo sein Wagen parkte.
    Der Jaguar E-Type – ein silbernes Schmuckstück der Serie  3  – stand noch genau dort, wo er ihn abgestellt hatte, vor einer Ziegelsteinmauer. Allerdings hatte ein dunkelgrüner Hillman direkt vor ihm geparkt, und zwar so dicht, dass sein Fahrzeug zwischen Wand und Hillman feststeckte.
    Stirnrunzelnd näherte sich Charles. Beugte sich auf der Fahrerseite des Hillman nach unten und spähte durch das Seitenfenster ins Innere. Da war niemand. Nichts auf den schwarzen Vinylsitzen, das einen Hinweis auf den Besitzer geliefert hätte. Charles legte eine Hand auf die Motorhaube. Sie war warm, doch das konnte auch an der Mittagssonne liegen, die mit voller Wucht herunterschien. Der Wagen konnte genauso gut seit einer Stunde hier parken wie seit einer Minute. Charles sah sich suchend um und bemerkte eine Ulme, die ein wenig abseits der Straße auf dem Rasen stand und Schatten spendete. Am Stamm der Ulme lehnte niemand anderes als Nicole Dubois.
    Seufzend ging Charles zu ihr. «Lassen Sie mich raten», sagte er und deutete auf den Hillman. «Dieser Wagen dort gehört Ihnen?»
    Nicole blickte zu ihm hoch und blinzelte wegen der grellen Sonne in seinem Rücken. Ihr Gesicht blieb passiv, ihr Tonfall neutral. «Charles. Ich muss schon sagen, was Sie heute Morgen getan haben, war sehr enttäuschend.»
    «Was?»
    «Es war unelegant, würdelos, wenig gentlemanlike. Anstatt sich an die Regeln zu halten, haben Sie Ihre Stellung ausgenutzt, um sich zu holen, was Sie wollten. Ich bin alles andere als beeindruckt.»
    Er öffnete den Mund, um zu protestieren, und stellte voller Bestürzung

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