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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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es schon? Es sind nur Hypothesen.»
    Beckett beugte sich vor. «Sie konnten kein Motiv für die Keulung entdecken?»
    «Nein.»
    «Interessant.»
    «Und was wollten Sie mir nun zeigen, Patrick?»
    Beckett zuckte erneut und rieb sich die Hände. Er beugte sich über seine Aktentasche, ließ die Schlösser aufschnappen und nahm eine Pappröhre hervor. Er entfernte die Plastikkappe am Ende. Dann zog er eine Schriftrolle hervor, das dicke Pergament brüchig und fleckig vom Alter.
    Charles sah gespannt zu, wie Beckett das Pergament entrollte. Der handgeschriebene Text war ungarisch und mit verschwenderischer Kalligraphie versehen. Er konnte mehrere Male die Worte
hosszú életek
lesen. Das Dokument war dreifach unterzeichnet und mit einem Wachssiegel versehen, dessen einstige rote Farbe braun geworden war. Das Datum des Dokuments lautete
3 . März 1880
.
    «Was ist das?»
    «Sehen Sie die Unterschriften? Diese hier gehört Kaiser Franz Joseph, dem damaligen Herrscher. Die zweite gehört Kálmán Tisza de Borosjenő. Er war ungarischer Premierminister von 1875 bis 1890 . Die dritte Unterschrift konnte ich bisher nicht identifizieren.»
    «Und was steht in diesem Dokument?»
    Beckett blickte von der Schriftrolle auf. Seine Augen studierten Charles hungrig. «Es ist ein königliches Dekret. Ein ziemlich hässliches Dekret.»
    «Und?»
    «Es autorisiert die sofortige Exterminierung der in Budapest lebenden
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. Nicht nur die herrschenden Klassen. Jeder einzelne arme Tropf.
‹Dieser Schandfleck soll für immer aus unserer Gesellschaft getilgt werden›.
»
    «Woher haben Sie das?»
    Beckett grinste feixend. «Möchten Sie mit mir Quellen tauschen?»
    «Haben Sie die Echtheit überprüft?»
    «Oh, es ist echt, Charles. Ich garantiere es. Was halten Sie davon?»
    «Ich weiß es nicht. Was halten
Sie
davon?»
    «Vielleicht steckt vergraben unter all den Mythen ja doch eine Spur Wahrheit.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Stellen Sie sich vor, damals ist irgendetwas passiert. Irgendetwas, das das Gleichgewicht zerstört hat. Wir wissen aus den gängigen Quellen, dass die Allianz zwischen den
hosszú életek
und dem Budapester Adel immer eine wacklige Angelegenheit war. Sie waren nicht gerade Busenfreunde. Vielleicht hat ein besonderer Zwischenfall die Unruhen entfacht, die letztendlich zu diesem Dekret geführt haben.»
    «Und das ist alles nur Ihre Spekulation?»
    «Natürlich.»
    «Sie klingen, als würden Sie das alles glauben.»
    «Sie nicht?»
    Charles starrte den Gelehrten an, und seine Unruhe wuchs. Becketts Grinsen war spöttisch, und seine Augen leuchteten.
    «Und hier kommt noch etwas Interessantes», fuhr der Gelehrte fort. «Sind Sie bei all Ihren Recherchen je auf die Eleni gestoßen?»
    «Ich kann mich nicht erinnern.»
    «Die Eleni waren die Organisation, die beauftragt war, den Genozid durchzuführen.»
    «Eleni.» Charles hielt inne. Jetzt, wo er darüber nachdachte – vielleicht hatte er den Namen in dem einen oder anderen von Anna Bauers Tagebüchern gelesen. Er schüttelte den Kopf. «Nein. Nein, der Name sagt mir nichts.»
    «Ah … das ist wirklich zu dumm. Na ja, macht nichts. Sie sind hier in diesem Dokument erwähnt. Sehen Sie, im zweiten Absatz? Wissen Sie, was ich interessant finde? Es gibt in Budapest ein Eleni-Konzil, und zwar bis zum heutigen Tag.»
    «Und?»
    «Sie haben recht. Sicher nur ein Zufall.» Beckett lachte. «Es gibt einen Tafelrunden-Club in Oxford, aber ich vermute, die Mitglieder sind nicht ausnahmslos edle Ritter.» Er richtete den Blick auf das Dokument in seinen Händen, rollte es zusammen, schob es zurück in die Pappröhre und setzte die Plastikkappe wieder auf. «Wie geht es übrigens Ihrer Frau, Nicole?»
    Seine Anspannung ließ ein wenig nach. Charles lächelte. «Gut, danke.»
    «Ist lange her, dass wir uns gesehen haben. Wir sollten uns vielleicht zum Essen verabreden. Was meinen Sie?»
    Charles erhob sich. «Ja. Gehen wir zusammen essen.»
    Sie schüttelten sich die Hände, und Charles verließ den Park durch das Danby Gate. Auf dem Weg nach draußen sah er zurück zu Beckett. Der alte Mann stand am Brunnen und starrte ins Wasser.

Kapitel 16
    Snowdonia
    Heute
    D ie Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als Hannah, Gabriel und Leah wieder in Llyn Gwyr eintrafen. Während die Sonne hinter dem Horizont versank, gingen die Temperaturen rasch zurück. Ein eisiger, böiger Wind betäubte Finger und Gesichter.
    Sie ritten auf den gekiesten Hof hinter dem Farmhaus. Der

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