Der Bann (German Edition)
die Augen des toten Falken auf sich ruhen. Obwohl sie wusste, dass es nur Glas war, richteten sich ihre Nackenhaare auf. Warum hatte sie das abscheuliche Ding nicht nach draußen gebracht und verbrannt?
Hannah schob sich auf Zehenspitzen an der Vitrine vorbei und schlich bis zur Mitte der Treppe. Leise ließ sie sich in eine sitzende Position nieder und lehnte das Gewehr auf ein Knie, die Läufe nach vorn in die Dunkelheit gerichtet. Sie nahm die Lampe aus der Tasche und legte sie neben sich.
Ihre Augen brannten und waren trocken vom Schlafmangel. Ihr Kopf pochte. Sie musste nur die Nacht irgendwie überstehen. Morgen früh würden sie alle von hier wegfahren. Sicherstellen, dass niemand ihnen folgte. Ein Hotel finden. Mit Bargeld bezahlen. Schlafen.
Hannah blinzelte in die Dunkelheit, streckte den Hals von einer Seite zur anderen und dämmerte vor sich hin.
Als sie die Augen wieder aufschlug, hätte sie, völlig desorientiert, beinahe das Gleichgewicht verloren. Das Metall der Schrotflinte war warm an der Stelle, wo ihre Hände es gepackt hielten, und glatt vom Schweiß. Ihre Augenlider fühlten sich klebrig an. War sie etwa eingeschlafen?
Gütiger Himmel, Hannah!
Sie starrte auf ihre Uhr, runzelte die Stirn, versuchte einen Sinn zu erkennen in der angezeigten Zeit. Fünfzehn Minuten nach fünf. Draußen war es immer noch dunkel. Wann hatte sie das Schlafzimmer verlassen? Gegen drei? Sie musste im Sitzen eingeschlafen sein, mit dem Kopf an das Geländer gelehnt.
Mit einer geladenen Flinte im Schoß. Clever.
Sie unterdrückte ein Gähnen und zwang sich nachzudenken. Was hatte sie aufgeweckt? Das Haus lag still.
Ein kalter Lufthauch strich über ihre Haut. Sie erschauerte. Es war viel kälter geworden im Haus. Das einzige Feuer, das immer noch brannte, war das im Schlafzimmer.
Hannah versteifte sich. Hob die Waffe.
Bevor sie nach oben gegangen war, hatte sie sämtliche Fenster und Türen kontrolliert. Das zerschlagene Fenster hatte sie mit Brettern vernagelt. Der kalte Luftzug war nicht mit normalen Luftbewegungen im Haus zu erklären.
Sie biss die Zähne zusammen. Spürte, wie sie anfing zu zittern.
Konzentriere dich auf Nate. Auf Leah. Deinen Mann und deine wunderschöne kleine Tochter.
Wag es nicht, sie zu enttäuschen. Wage es nicht!
Jemand war im Haus. Sie wusste es mit plötzlicher, furchtbarer Gewissheit. War es möglich, dass der Eindringling an ihr vorbeigeschlichen war, während sie geschlafen hatte?
Gütiger Himmel
– sie wusste es nicht.
Ihr linkes Knie knackte, als sie sich erhob. Sie streckte die Hand aus, tastete nach der Taschenlampe …
Wenn sie nicht da ist, schreie ich. Ich kann gar nicht anders.
Ihre Finger ertasteten die Lampe. Sie schob sie in ihre Tasche.
Sie starrte angestrengt in den Abgrund am Fuß der Treppe, während sie mit dem Rücken an die Wand geschmiegt nach unten schlich.
Im Flur angekommen, spähte sie um das Geländer herum. Schwacher Lichtschein schimmerte vom Verandafenster herein und warf undeutliche Schatten auf die Dielen. Die Tür zum Esszimmer war geschlossen. Hatte es so ausgesehen, als sie nach oben gegangen war? Vermutlich.
Sie tappte durch den Flur und spürte, wie sich das Holz der Dielen unter ihren Füßen bog. Die nächste Tür zur Rechten führte ins Wohnzimmer. Sie stand offen. Geradeaus bog der Flur nach links ab und führte in die Küche.
Lass nie eine offene Tür hinter dir.
Sie schlich ein paar Schritte weiter und spähte um die Ecke. Die Küche war ein schwarzes klaffendes Loch. Sie duckte sich und schob den Kopf durch die Wohnzimmertür, während sie aus den Augenwinkeln den Eingang zur Küche beobachtete.
Im Wohnzimmer war niemand, soweit sie es beurteilen konnte. Das Sofa war groß genug, dass sich jemand dahinter verstecken könnte. Das große Bücherregal in der Ecke warf undurchdringliche Schatten. Doch die Fenster waren allesamt geschlossen. Die Bretter über der zersplitterten Scheibe saßen fest vernagelt an Ort und Stelle.
Hannah stieß langsam den Atem aus und wollte sich soeben der Küche zuwenden, als sich Sebastien aus der Dunkelheit schälte.
Hannah unterdrückte nur mühsam einen Schrei. Sie stolperte rückwärts, riss das Gewehr hoch. «Jesses! Geh zurück!»
Der alte Mann zischte überrascht. «Hannah? Gott sei Dank, du bist –»
«Was soll das, zum Teufel, Sebastien! Bleib da stehen, wo ich dich sehen kann.»
Sie konnte sehen, wie seine Augen in der Dunkelheit glänzten.
«Nicht so laut», flüsterte
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