Der Bann (German Edition)
verrottete.
Du darfst keinen Mist bauen. Du kannst es dir nicht leisten.
Er würde keinen Mist bauen. Er liebte sie. Er hatte sie sein ganzes Leben lang geliebt.
Obwohl er wusste, dass es ihr seltsam vorkommen musste, wenn er das Haus verließ, ohne sich zu verabschieden, war sich Jakab plötzlich vollkommen sicher, dass es das Beste war. Er schlich auf Zehenspitzen in den Flur, schlüpfte durch die Vordertür und rannte die Straße entlang zurück zu seinem Auto.
Er nahm sein Mittagessen im Speisesaal des Pannonia-Hotels ein und zog sich dann in seine Suite im zweiten Stock zurück, wo er den Rest des Nachmittags damit verbrachte, über Albert Bauer nachzudenken. Er hatte bereits eine Menge Informationen über den jungen Chemiker zusammengetragen. Der Mann war eine Waise, protegiert von einem wohlhabenden Onkel, der in Wien lebte. Er wohnte seit zwei Jahren in Sopron, nachdem er in Leipzig studiert hatte. Er war leidenschaftlicher Briefmarkensammler, hatte nichts für Jazz übrig und war unbeholfen bei gesellschaftlichen Anlässen. Er stotterte, wenn er nervös wurde, redete mit Akzent und litt gelegentlich unter Schuppenflechten.
Jakab war zwar nicht imstande, die Karriere des Mannes als Chemiker überzeugend fortzusetzen, doch eine rasch arrangierte Erbschaft in Wien würde dieses Problem lösen. Jakabs einzige wirkliche Sorge war, dass er immer noch relativ wenig wusste über Alberts Beziehung zu Anna. An diesem Morgen jedoch hatte er die Tagebücher von Hans Fischer entdeckt. Er war sicher, dass viele der Antworten, die er so dringend suchte, auf diesen Seiten zu finden waren.
Vor der Frisierkommode studierte Jakab das Spiegelbild Alberts. «Du bist als Erster an der Reihe, mein Junge», sagte er. «Und danach arrangieren wir einen Einbruch.» Er schüttelte den Kopf. «Abgesehen davon – wer will schon in Sopron leben, eh?»
Bei Anbruch der Nacht parkte er seinen Mercedes auf der schmalen Straße vor Alberts Wohnung. Das kalte Wetter sorgte dafür, dass die meisten Bewohner in ihren Häusern waren. Sterne glitzerten an einem wolkenlosen Himmel, und der Mond war eine ganz dünne Sichel. Die Fenster der Wohnung des Chemikers im ersten Stock waren dunkel.
Es war ungewöhnlich für Albert, an einem Mittwochabend auszugehen. Der Mann aß für gewöhnlich in einem Bistro eine Straße weiter, bevor er sich in seine Wohnung zurückzog, um vor dem Schlafengehen noch ein oder zwei Stunden zu arbeiten.
Jakab zog seine Uhr hervor und schielte auf die Zeiger. Neun Uhr. Seine Füße wurden bereits taub. Er überlegte, dass er genauso gut in der Wohnung warten konnte, wo es warm war, und stieg aus dem Wagen.
Er tastete nach den nachgemachten Schlüsseln, während er die Straße überquerte, und sperrte die Haustür auf. Der Flur lag dunkel. Jakab stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf und blieb vor Alberts Wohnungstür stehen, um zu lauschen.
Nichts. Völlige Stille.
Er benutzte einen zweiten Schlüssel, um sich Einlass zu verschaffen. Erneut hielt er in der Dunkelheit inne und lauschte. Aus einer der Nachbarwohnungen kam gedämpftes Gelächter, doch in Alberts Wohnung rührte sich nichts. Jakab steckte die Schlüssel wieder ein, zog sein Messer und betrat die Wohnung.
Er zog die Tür leise hinter sich zu, streckte die Hand aus und tastete an der Wand nach dem Bakelitschalter für das Licht. Als die Deckenlampe aufflammte, wirbelte er in dem kleinen Raum einmal um die eigene Achse, doch niemand schrie erschrocken auf, niemand sprang ihn an. Er sah Alberts Schreibtisch. Das Sofa und den Sessel vor dem Kamin. Das Bücherregal.
Der Tisch, für gewöhnlich ein Durcheinander aus wissenschaftlichen Zeitschriften, Artikeln, hingekritzelten Notizen und Schreibwerkzeugen, war völlig frei. Die Regalbretter waren leer. Über dem Kamin, wo zuvor ein mäßig gelungenes Aquarell gehangen hatte, steckte nur noch ein Messingnagel in der Wand.
Vor Jakabs geistigem Auge spielte sich eine Szene ab: Anna, die im Flur der elterlichen Villa stand und leise telefonierte.
«… nein, mache ich nicht. Versprochen …»
Sie hatte ihn angegrinst. Und für einen winzigen Moment, als sie den Hörer eingehängt und das Mundstück zurückgelegt hatte, hatte Jakab einen lauernden Ausdruck bemerkt, der über ihr Gesicht gehuscht war.
Jetzt wandte er sich zum Schlafzimmer. Schaltete dort das Licht ein. Die Schranktüren standen offen. Leere Schubladen klafften. Das Bett war abgezogen worden. Alberts Radio war verschwunden.
Jakab
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