Der Bann (German Edition)
betäubt dalag, zu selbstsüchtig, um den Kopf aus der gnädigen Umarmung der Beruhigungsmittel zu heben.
Irgendjemand öffnete die Wagentür, hob sie heraus und trug sie über einen knirschenden Kiesweg. Die Luft war wärmer hier. Ein anderes Land, ein anderes Leben. Ein Schlüssel drehte sich in einem Schloss, Schritte hallten auf Bodenfliesen. Der Geruch von Ingwer, Zimt und Nelken. Nach oben in ein dunkles Zimmer. Gestärkte Laken, Fenster mit geschlossenen Läden davor. Stille. Schlaf.
Sie erwachte mitten in der Nacht, die Augen verklebt, der Mund trocken wie Kreidestaub, und stolperte eine Treppe hinunter in eine Küche mit einfachen Holzmöbeln und gekalkten Wänden. Sebastien saß in einem von zwei Lehnstühlen vor einem kalten Holzofen und las im Licht einer Tischlampe eine Zeitung. Hannah suchte in Schränken, bis sie gefunden hatte, was sie brauchte – eine Flasche Brandy und ein einzelnes Glas. Sie schenkte sich ein, kippte den Inhalt hinunter und schenkte sich ein weiteres Glas ein. Sebastien legte seine Zeitung weg, verschränkte die Hände im Schoß und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Sie blickte ihn an, schüttelte den Kopf, trank ein weiteres Glas Brandy und trug die Flasche nach oben zu ihrem Bett. Als sie das nächste Mal erwachte, fiel Licht durch die Schlitze der Fensterläden, und auf einem Tablett neben dem Bett stand ein erkaltetes Frühstück aus Toast und Eiern. Sie trank Brandy aus der Flasche und sank ein weiteres Mal in die Gnade der Bewusstlosigkeit.
Als sie wieder die Augen aufschlug, war die Nacht zurückgekehrt. Ihr Kopf dröhnte, und ihr Magen verkrampfte sich. Sie schaffte es nicht bis zur Schlafzimmertür, bevor sie sich übergab und ein bitterer, brennender Schwall aus Galle auf die Dielenbretter platschte.
Sie torkelte die Treppe hinunter und fand die Küche verlassen. In der Luft hing der Geruch nach gebratenem Hähnchen. Auf dem Gestell neben dem Spülbecken standen Teller zum Trocknen. Jemand – wahrscheinlich Leah – hatte am Tisch gesessen und Bilder gemalt. Einen liegenden Mann. Blumen auf seiner Brust. Eine Frau und ein Mädchen, die sich an der Hand hielten. Eine Sonne. Einen Vogel. Einen Berg.
Die Terrassentür war angelehnt, und Sebastien kam von draußen herein, während Hannah nach einer weiteren Flasche suchte. Es gab keinen Brandy mehr, und bis sie Wein und einen Korkenzieher gefunden hatte, zitterten ihre Hände so stark, dass sie abrutschte und sich am Daumen verletzte. Sie ließ den Korkenzieher fallen und fing an zu weinen.
Schweigend nahm Sebastien ihre Hand und führte sie zum Spülbecken. Er hielt ihren Daumen unter fließendes Wasser, wickelte ihn in ein Küchenhandtuch und führte sie sodann zu einem Lehnstuhl. Dann setzte er Wasser auf und bereitete ihr einen Becher Tee. «Sie braucht dich», sagte er leise, als sie einen Schluck trank und sich die Haare aus dem Gesicht strich.
«Ich kann nicht.»
«Es gibt niemanden außer dir.»
«Ich weiß.»
«Sie ist ein unglaubliches Mädchen, Hannah. Aber sie kommt ohne deine Hilfe nicht darüber hinweg. Sie braucht deine Kraft.»
«Und ich? Was brauche ich?»
Sie erschreckte vor der Brutalität ihrer eigenen Worte. Sie hob den Kopf und war schockiert, als sie sah, wie erschöpft Sebastien war. Seine Haut war wächsern und eingefallen, seine Augen stumpf und rot gerändert.
«Du hast deinen Mann verloren», sagte er. «Sie hat ihren Vater verloren. Willst du, dass sie auch noch ihre Mutter verliert?»
«Es gibt keine Hoffnung.»
«Das würde bedeuten, ihn gewinnen zu lassen.»
«Er hat schon gewonnen. Sieh uns an. Sieh dir an, was von uns geblieben ist.»
«Du hast immer noch eine Tochter.»
«Wie lange noch?»
Fluchend stapfte Sebastien zum Küchentresen. Er schnappte ein Glas vom Trockengestell, nahm eine Halbliterflasche Gin aus einem Schrank, in dem sie nicht nachgesehen hatte, füllte das Glas bis zum Rand und hielt es vor sie hin. Alkohol schwappte über und spritzte auf ihre Beine. «Nur zu, trink, wenn du unbedingt musst! Mach es dir leicht. Es ist nicht das, was ich von dir erwartet hätte, aber jeder schafft es, einen zu enttäuschen, wenn man ihm nur genügend Zeit lässt, richtig? Ich dachte –»
«Er ist
tot
, Seb!
Tot!
», kreischte sie und schlug ihm das Glas aus der Hand. Es zerbarst auf dem Boden.
«Ich weiß! Es ist furchtbar, und nichts, was du oder ich tun können, wird irgendetwas daran ändern! Aber du hast ein kleines Mädchen, das dich braucht, also reiß
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