Der Bann (German Edition)
ernst, bar jeglichen Humors.
Hannah war überrascht, doch sie rührte sich nicht. Vielleicht lag es an den Nachwirkungen von Sebastiens Sedativum oder am Alkohol, doch sie fühlte sich wie festgewachsen. Sie blickte sich im Raum um, suchte nach einer Waffe, konnte keine sehen. Auf dem Küchentresen standen lediglich ein Wasserkocher, ein Kaffeeautomat und die Teller im Tropfgestell. Neben dem Holzofen befand sich ein Korb, doch er war leer.
Hannah sah zu Gabriel hoch. «Was wollen Sie?»
«Ihnen helfen.»
«Warum?»
«Wegen der Tragödie, die Sie und Ihre Tochter ereilt hat. Weil ich angefangen habe, die Frau zu mögen, die ich in den Bergen getroffen habe. Weil es das Richtige ist zu helfen. Weil sonst niemand da ist, der helfen könnte.»
Hannah bemerkte, dass Sebastiens Hand in Richtung der Hosentasche kroch, in der er das Messer aufbewahrte, und ihr wurde klar, dass sie weiter Gabriels Aufmerksamkeit beanspruchen musste. «Wie haben Sie uns gefunden?», fragte sie.
«Das war nicht besonders schwer.»
«Wer sind Sie?»
Gabriel trat ein paar Schritte vor. Hannah erhob sich. Sie spürte, wie sich auch Sebastien aufrichtete.
«Ich nehme an, das ist ein Messer, nach dem Sie greifen, alter Mann», sagte der Ire in diesem Augenblick. «Bitte tun Sie das nicht. Ich bin sehr müde. Ich bin nicht hier, um irgendjemandem etwas zu tun.»
«Wer sind Sie?», wiederholte Hannah ihre Frage.
Gabriel studierte ihr Gesicht. «Ich bin ein
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», sagte er dann leise.
Seine Worte trafen sie wie eine Faust in den Magen, die ihr die Luft aus den Lungen trieb. «Was ist mit dem richtigen Gabriel? Was haben Sie mit ihm gemacht?»
Der Mann vor ihr runzelte die Stirn, und dann wurde seine Miene weicher. «Hannah, ich
bin
Gabriel. Der richtige Gabriel. Ich verstehe, warum Sie glauben, dass alle
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Monster wie Jakab sind, die andere Menschen benutzen und sich ihrer nach Belieben entledigen, als wären sie wenig mehr als Kleidungsstücke. Aber ich versichere Ihnen, wir sind nicht alle so.» Er warf einen Blick zur Seite. «Ich wette, selbst Sebastien wird mir darin zustimmen.»
«Sag mir nicht, was ich zu denken habe!», schnappte der alte Mann. «Du hast keine Ahnung, wer ich bin, nicht die geringste Ahnung! Und wenn du wirklich ein
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wärst –»
«Sie sind Sebastien Lang», unterbrach ihn Gabriel gelassen. «Sie sind in Wien geboren und aufgewachsen und studierten an der Semmelweis-Universität in Budapest Medizin. Noch im Grundstudium lernten Sie ein
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mit Namen Éva Maria-Magdalena Szöllösi kennen. Éva hielt Sie zunächst für einen von uns. Die Keulung durch die Eleni war noch frisch in ihrem Gedächtnis, und Verschwiegenheit war die Losung der Stunde. Als sie sich Ihnen schließlich zu erkennen gab und ihren Fehler bemerkte, war es zu spät. Sie hatten sich ineinander verliebt. Sie gestand Ihnen die Wahrheit, und dann floh sie.»
Sebastien stolperte zum Lehnstuhl und fiel hinein. Er hob die zitternden Hände und schlug sie vors Gesicht, bedeckte die Augen.
«Éva flehte Sie an, sie zu vergessen, doch Ihr Herz war gebrochen, und Sie waren am Boden zerstört. Sie fingen an, die
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zu erforschen. Sie lasen alles, was es zu lesen gab, hörten sich alle Geschichten an. Schließlich stolperten Sie über die Eleni. Die Organisation, welche die
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auslöschen sollte, suchte nach den letzten wenigen Überlebenden. Diesmal nicht, um uns zu töten, sondern um uns zu erforschen. Doch das alles interessierte Sie nicht. Sie hatten nur ein Ziel im Sinn: Éva finden.»
«Doch, es hat mich interessiert», krächzte Sebastien.
«Sie stiegen in der Hierarchie auf und wurden schließlich
Signeur
und rechte Hand des
Presidente
– verantwortlich dafür, die
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aufzuspüren, wo immer sie sich versteckten, unter Einsatz aller dazu erforderlichen Mittel. Im Verlauf einer Ihrer stümperhaften Unternehmungen wurde eine junge
hosszú élet
getötet. Sie stand nur ein Jahr vor ihrem ersten
végzet
. Vielleicht hätte sie jemanden kennengelernt und sich verliebt, Kinder mit ihm gehabt. Das Unausweichliche für eine Generation oder mehr hinausgezögert.» Gabriels Augen verengten sich zu Schlitzen. «Also sagen Sie mir, Sebastien Lang, sagen Sie mir noch einmal, dass ich keine Ahnung habe, wer Sie sind.»
«Der Tod dieses Mädchens war nicht beabsichtigt», flüsterte Sebastien und hob den Kopf. Seine Augen waren tränennass. «Es hätte nie geschehen
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