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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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Leben als
kirekesztett
Angst zu machen, hatte Lukács jetzt ein Stück von diesem Leben geschmeckt. Und er fürchtete es nicht, ganz im Gegenteil – er
begehrte
es. Ja, er würde seine Privilegien verlieren, den einfachen Weg durch das Leben, den seine Identität ihm ermöglichte. Zum ersten Mal würde er ein Einkommen brauchen, einen Ort, an dem er leben konnte. Doch er wäre frei.
    Er hatte Vorkehrungen getroffen. Einige wertvolle Uhren waren bereits aus der Werkstatt seines Vaters verschwunden. Er hatte zwar noch nicht gewagt, sich an den Goldbarren zu vergreifen, die unter den Dielenbrettern des Salons versteckt waren, doch er hatte längst ausgerechnet, wie viel die außergewöhnliche Menge an Barren wert war, die sein Vater dort lagerte. Es war mehr als genug, um ihm einen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren. Er hatte nicht vor, seine Familie mittellos zurückzulassen, doch wenn es so weit war, würde er sich auch nicht schämen, sich das zu nehmen, was er brauchte.
    Am Abend des zweiten
végzet
fuhr er wie zuvor mit seinem Vater nach Pest. In Szilárds Haus wechselte Lukács in ein gestärktes Hemd, eine Weste und einen Frack. Diesmal erwartete ihn eine andere Maske auf dem Frisiertisch. Sie war viel leichter als die erste und bestand aus hauchdünn gehämmertem, auf Hochglanz poliertem Kupfer. Im Gegensatz zu der ersten Maske aus Zinn bedeckte sie nicht so viel von seinem Gesicht – lediglich einen schmalen Streifen von den Wangenknochen an aufwärts.
    Er würde sie ohnehin nicht lange tragen.
    Er schob seine Taschenuhr in seine Weste und betrachtete sich ein letztes Mal selbstgefällig im Spiegel, bevor er nach draußen ging. Die Fahrt von Szilárds Haus zum Palast war geradezu possenhaft kurz. Sie überquerten nicht die Donau, sondern hielten vor einem weitläufigen Palast am Pester Ufer.
    «Mach mich stolz», sagte József, als ein Portier den Wagenschlag öffnete.
    Lächelnd tätschelte Lukács den Arm seines Vaters und stieg aus. Er durchquerte den Vorhof und stieg die Treppe des Palasts hinauf, wo er wartete, bis Józsefs Kutsche um die Ecke gebogen war. Dann zog er die Maske ab, stieg die Treppe wieder hinunter und ging durch das Tor nach draußen auf die Straße.
    Es war ein warmer Abend, und er beschloss, die Széchenyi-Kettenbrücke zu Fuß zu überqueren. Er genoss das Gefühl, so hoch über dem Wasser zu sein. Die Sonne ging unter, eine rot leuchtende Scheibe, die die Löwen am Brückenkopf in feurige Farben tauchte. Auf halber Höhe der Brücke blieb er stehen, drehte sich im Kreis und betrachtete die beiden Städte, die durch die mächtige Brücke vereint waren. Er angelte die Maske aus seiner Tasche und beugte sich über das Geländer. Was auch immer sie für die Hierarchie der
hosszú életek
bedeuten mochte, für ihn symbolisierte sie eine Fessel. Aus einer Laune heraus schleuderte er sie weit über das Geländer und beobachtete, wie sie in einer spiraligen Bahn nach unten segelte, dem Wasser entgegen. Er sah, wie sie auf der Oberfläche landete und einen Moment dort schwebte, ehe sie versank. Lukács atmete tief ein und wieder aus, bevor er sich abwandte und den Rest der Strecke zum anderen Ufer zurücklegte.
    Márkus’ Beschreibung führte ihn zu einer Taverne, die genauso laut und dreckig war wie die erste. Obwohl er seinen Frack ausgezogen und sich Dreck auf das Hemd geschmiert hatte, bevor er eintrat, erweckte sein Glanz Aufmerksamkeit. Er spürte feindselige Blicke auf sich, als er sich einen Weg durch die Menge bahnte.
    Márkus saß auf einer Bank und hielt einen leeren Humpen. Krisztina saß neben ihm. Als sie ihn bemerkten, weiteten sich ihre Augen voller Überraschung. Márkus sprang auf, lachte und umarmte Lukács und schlug ihm kräftig auf den Rücken. Krisztina begrüßte ihn mit einem Lächeln, das sein Herz wild pochen ließ. Sein Magen zog sich zusammen.
    Es war eigenartig, sie zu sehen, ohne dass Alkohol seine Sinne und sein Urteilsvermögen benebelte. Sie erregte ihn immer noch, doch sie war nicht so hübsch, wie er sie in Erinnerung hatte, und auch nicht so sauber. Seine Lippen wurden trocken, und er murmelte eine Begrüßung in ihre Richtung. Sie trug dasselbe Kleid wie beim letzten Mal. Es war fleckig und schmuddelig, doch es betonte ihre Kurven nichtsdestotrotz.
    Er erbot sich, eine Runde auszugeben, und Márkus gratulierte ihm zu diesem Vorschlag. Schon bald trank Lukács Bier in vollen Zügen und lachte, während sein neuer Freund die Ereignisse der vergangenen

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