Der Baron und die widerspenstige Schöne
sollte trotz des Regens nicht allzu schlammig sein. Sind Sie einverstanden? Gut. Gehen wir.“
Adele legte ein flottes Tempo vor, das ihren jungen Begleiterinnen nur recht war. Der Wind hatte die dunklen Wolken vertrieben, und die Farben der Blumen und Blätter schienen nach dem Regen besonders kräftig zu leuchten. Carlotta war froh, sich im Freien aufhalten zu können. Der Spaziergang beruhigte ihre angespannten Nerven. Schweigend ging sie neben den anderen einher, glücklich, ihre Gedanken schweifen lassen zu können. Adele fragte Julia aus, ermutigte sie behutsam, von sich zu erzählen, doch Carlotta schenkte den beiden kaum Beachtung. Auch für ihre Umgebung hatte sie keinen Blick, bis der Pfad sie an einem großen quadratischen Gebäude vorüberführte, dessen Steinportikus mit den geriffelten Säulen an einen griechischen Tempel erinnerte.
„Ah, das Badehaus“, sagte Adele. „Im Inneren befinden sich einige ausgezeichnete Wandgemälde, habe ich mir von meinem Gatten sagen lassen. Sollen wir hineingehen und einen Blick darauf werfen?“
Julia blickte verdutzt. „Oh, aber … Das Badehaus ist doch den Gentlemen vorbehalten?“
„Ja, es wird von den Herren genutzt, das ist wahr. Aber nun sind sie ja nicht hier“, erwiderte Adele. Sie drückte Carlottas Arm. „Ich bin sicher, Sie würden gerne einen Blick hineinwerfen.“
„In der Tat“, stimmte Carlotta zu. Es war eines der letzten Gebäude gewesen, die ihr Vater verschönert hatte. Sie konnte es kaum erwarten, seine Gemälde zu sehen und sich auf diese Weise ihren Eltern nahe zu fühlen. Blitzartig wurde ihr bewusst, wie sehr sie Mutter und Vater vermisste.
Adele ging ihnen voran die flachen Stufen nach oben zu der eichenen Doppeltür, die hinter den Säulen lag.
„Vielleicht ist die Tür verriegelt“, sagte Julia hoffnungsvoll.
Adele griff in ihr Retikül und zückte einen großen Schlüssel. „Darauf bin ich vorbereitet.“
Ohne Schwierigkeiten öffnete sie die Tür, und sie betraten die gewölbeartige viereckige Halle. Hoch oben in den Wänden waren Fenster eingelassen. In der Mitte des Raumes befand sich ein großes Tauchbecken mit Steintreppe. Adele hielt die Hand ins Wasser, kleine Wellen kräuselten die Oberfläche.
„Man sagte mir, das Becken ist tief genug, um darin zu schwimmen. Aber das Wasser ist sehr kalt. Den Herren scheint das allerdings nichts auszumachen.“ Sie schmunzelte. „Wegen der hohen Fenster kann man sie beim Baden nicht beobachten.“
„Wir sollten nicht hier sein“, stammelte Julia und starrte mit weit geöffneten Augen auf die bemalten Wände.
Carlotta folgte ihrem Blick. Die Wandgemälde zeigten klassische Szenen, Männer und Frauen beim gemeinsamen Bade im Fluss. Sie war in einem Künstleratelier aufgewachsen und daher vertraut mit dem Anblick fast gänzlich unbekleideter Figuren auf Gemälden. Julia hingegen war offenkundig schockiert darüber. Adele aber lachte nur.
„Natürlich sollten wir eigentlich nicht hier sein, indes sind Sie beide keine kleinen Kinder mehr. Ich glaube nicht, dass der Anblick dieser Gemälde bleibenden Schaden bei Ihnen anrichten wird. Außerdem müssen wir ja niemandem davon erzählen.“
Julia kicherte nervös. „Nein, vermutlich nicht.“
„Kommt, ich zeige euch die Wärmestube.“
Sie passierten das große Tauchbecken und gingen durch die Türen am anderen Ende der Halle. Überrascht stellte Carlotta fest, dass der Raum, den sie gleich darauf betraten, sich völlig von dem vorigen unterschied. Das Zimmer wurde von einem großen Kamin beherrscht, und mehrere gepolsterte Liegen standen im ganzen Raum verteilt. Auch hier fanden sich die Fenster fast unterhalb der Decke, und die Wände waren mit Gemälden verziert, die nach Carlottas Vermutung eine Orgie darstellen sollten. Unwillkürlich musste sie lächeln. Ihr Vater war sehr freizügig, doch er hätte ihr niemals erlaubt, ihm bei der Arbeit in diesem Raum zuzuschauen.
„In dieses Zimmer kommen die Herren zur Entspannung“, erklärte Adele. „Im Nebenzimmer kann Wasser für ein Hüftbad erhitzt werden. Nach der Jagd können die Gentlemen baden und sich im Tauchbecken erfrischen, bevor sie hier vor dem Kamin ein informelles Dinner einnehmen.“
„Das klingt sehr … dekadent“, bemerkte Carlotta.
„Ja, aber auch amüsant“, erwiderte Adele.
Die drei Frauen schauten einander an und brachen in Gelächter aus.
„Vielleicht sollten auch wir eines Tages hier speisen“, schlug Adele vor.
Julia hob die Hand an
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