Der Bastard von Tolosa / Roman
ein?«
»Soll man zusehen, wenn das Land vor die Hunde geht?«, fragte er hitzig. Dann fuhr er in ruhigerem Ton fort: »Ich war immer Guilhems Mann. Er war der rechtmäßige Graf. Borcelencs kümmerte sich ums Kriegerische. Ich um die Politik. Wir waren seine engsten Vertrauten.« Odo seufzte. »Guilhem hat mich dafür zum Erzbischof gemacht. Ich schulde ihm viel. Leider hat sich sein Bruder Raimon durchgesetzt. Durch die Heirat mit Anhes ist ihm die Provence zugefallen. Die Erbschaft Rouergue hat er sich in langen Jahren erkämpft. Das hat schließlich das Übergewicht gebracht. Trotzdem war ich Guilhem immer treu ergeben. Ein guter Mann. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.«
»Mein Gott, Onkel! Das ist jetzt wie lange her?« Ich rechnete nach. »Zweiundzwanzig Jahre! Beide sind lange tot. Guilhem ist vor sechzehn Jahren gestorben. Raimon vor fünf. Was soll das noch für eine Bedeutung haben?«
»Du verstehst nicht«, entgegnete er vorwurfsvoll. »Guilhem besaß die
primogenita,
das Recht des Erstgeborenen. Das hat Raimon ihm in gottloser Weise gestohlen. Der verdammte
usurpator!
Deshalb haben auch seine Kinder keine Rechte, weder Bertran noch Alfons. Diese Brut maßt sich die Macht zu Unrecht an.«
»Also meinetwegen Felipa«, erwiderte ich. »Dann soll sie doch über Tolosa herrschen.«
»Eine schlechte Wahl!«, knurrte er.
»Weil sie ein Weib ist?«
»Nein. Auch Frauen können herrschen. Denk an deine Mutter.« Er lachte leise. »Aber du hast doch sicher von Felipas Mann, dem edlen Herzog von Aquitanien, gehört?«
»Guilhem
lo Jove?
« Er hatte den Beinamen
der Junge,
weil er sein Erbe schon mit sechzehn angetreten hatte. »Ja, ich bin ihm in Sant Gilles Lager begegnet. Ein eitler Narr.«
»Sie nennen ihn den
trobador.
Weil er nichts als Weiber und anzügliche Verse im Kopf hat. Sollen wir uns von einem solchen Leichtfuß auf der Nase herumtanzen lassen?«
»Nein. Sicher nicht. Aber es ist nicht gut, wenn die herrschende Familie schwach ist. Dann ist es besser, Bertran käme zurück. Auch wenn du ihn nicht magst. Ich kenne ihn. Er ist ein guter Mann. Tolosa könnte Schlechteres widerfahren.«
Odo machte ein seltsames Gesicht. »Du hast recht. Aber da ist etwas, das du nicht weißt, nicht wissen kannst«, flüsterte er.
Ich runzelte die Stirn und starrte ihn erwartungsvoll an.
Er zögerte, dann hob er die Schultern und seufzte. »Guilhem hat damals nicht freiwillig verzichtet.«
»Wen überrascht das?«
»Er hat auf seine Rückkehr hingearbeitet. Wir waren fast so weit, dann ist er gestorben.«
»Na und?«
Er beugte sich zu mir und raunte, dass ich es kaum verstehen konnte: »Es gibt noch einen Erbanspruch.«
»Von welcher Seite?«
»Aus Guilhems Linie. Der hat noch mehr Gewicht als Felipas. Aber niemand weiß davon.«
»Nur du?«
»Ich und der alte Borcelencs. Wir hatten geschworen, keinem Menschen ein Sterbenswörtchen zu sagen, bis der Tag reif ist. Nur, Borcelencs ist vor kurzem gestorben. Gott segne seine alte Kämpferseele.« Er bekreuzigte sich.
»Du hast dich mit den Borcelencs verschworen? Für Bertran sind sie Unruhestifter und Rebellen.«
»Er meint die Söhne. Und da hat er recht. Sie schwänzeln um Elvira herum und versuchen, sich Einfluss zu verschaffen, besonders der ältere. Ich habe seinen Namen vergessen. Nein, nein. Die Söhne haben keine Ahnung. Auf die Treue des Alten war immer Verlass. Mit den Jungen habe ich nichts zu schaffen.«
»Du weißt also von einem Versprechen oder Testament, das mit dem Erbe von Tolosa zu tun hat? Eine Kirchenstiftung? Ein entfernter Vetter?«
»Nicht so laut!«, zischte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Gleich wirst du mir einen Erben herzaubern, was?«, spottete ich. »Vielleicht einen vergessenen Sohn, den er einer Küchenmagd beschert hat, oder?«
»Sprich leise, um Gottes willen!« Er sah sich um. Dann flüsterte er: »Du hast verstanden.«
»Die Küchenmagd? Wie in den Ammenmärchen, meinst du? Vom Findelkind zum König? Dass ich nicht lache!« Odo machte eine verletzte Miene, aber ich konnte das nicht ernst nehmen.
»Mach dich nur lustig«, sagte er hitzig. »Aber ihm werden Tolosa und all die anderen Grafschaften gehören, und zur rechten Zeit wirst du erfahren, wer es ist. Es wird dich sehr überraschen!«
Ich lachte in mich hinein. »Was sind das für Hirngespinste, Odo? Selbst wenn es so jemanden gäbe, er hätte alle gegen sich, die Macht und Einfluss besitzen.«
»Er wird sie hinwegfegen.« In Odos Augen
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