Der Bastard von Tolosa / Roman
früher Nachmittag, 31. Tag des Monats März
D ie
aula magna,
oder große Halle, war nicht so groß, wie ihr Name behauptete, zumindest nicht vergleichbar mit den gewaltigen Sälen, die ich in Konstantinopel gesehen hatte. Auf einer Festung lebt es sich eng, dennoch war dies ein eindrucksvoller Raum mit einem bemalten und von Säulen getragenen Deckengewölbe. Bei Festmahlen bot er Platz für hundert oder mehr Personen.
Als ich durch das Portal trat, mussten meine Augen sich erst an das Halbdunkel gewöhnen. Der Boden bestand aus polierten Marmorplatten. An den Längswänden verlief jeweils ein angedeuteter Säulengang mit Spitzbögen in der Art eines
porticus,
so dass die Halle einem römischen
atrium
oder Innenhof nachempfunden schien, dem Ursprung jeder
aula.
An den Säulen waren Fackelhalter befestigt, in den Nischen dazwischen hingen Waffen, Eberköpfe oder Hirschgeweihe, Wandteppiche byzantinischer Herkunft, die Jagdszenen oder Schlachten darstellten. An der Stirnwand rechter Hand befand sich ein mehr als mannshoher Kamin, der nach zwei Seiten offen war, denn dahinter lag der Gang zur Küche. An der Stirnwand gegenüber hing das Wappen der Grafen von Tolosa, und darunter hatte man als Blickfang die gewaltigen Stoßzähne eines
olifants
angebracht. Ein seltener Anblick in einem Rittersaal. Darunter und quer zum Raum stand ein mächtiger Eichentisch, an dessen Mitte sich der schön geschnitzte und reichverzierte Stuhl des Fürsten von Tripolis befand. Wenn er zugegen war, diente die Halle hauptsächlich seiner Tafelrunde oder bot den Rahmen für Empfänge und festliche Anlässe. Ansonsten war sie verschlossen und niemandem zugänglich. Philippos hatte einen Schlüssel, ich einen zweiten. Was also hatte Ricard hier zu suchen?
Drei ausgelassene Zecher saßen am Tisch des Fürsten, tranken Wein und redeten durcheinander. Anscheinend schwelgten sie noch in den Erinnerungen ihrer Jagderlebnisse. Eine Magd hatte gerade einen weiteren Krug Wein gebracht und füllte reihum die Becher nach. Als Vierter im Bunde, auf dem Sitz des Grafen, lümmelte sich der junge Ricard, mit den Stiefeln auf dem Tisch, ungeachtet der Sporen, die die Platte zerkratzten.
Ich näherte mich aufgebracht. »Das ist die Fürstenhalle und keine billige Trinkstube!«, rief ich mit harscher Stimme. »Zum Saufen sucht euch gefälligst eine Taverne in der Vorstadt.«
»Ah,
Senher
Castelan
«, begrüßte mich Ricard mit aufsässigem Grinsen. Er hatte kleine Mauszähne, und sein Blick war glasig. Offenbar becherten sie schon eine ganze Weile. »Möchtet Ihr nicht einen Schluck mit uns teilen?«
»Wer hat euch hier hereingelassen?«
»Na, wer schon? Der fette Philippos natürlich. Der weiß wenigstens, wann er es mit seinen Oberen zu tun hat. Im Gegensatz zu einigen aufmüpfigen Emporkömmlingen, die von der Gnade meines Vetters leben.«
Seine Begleiter grinsten mich frech an, und einer, ein magerer, dunkelhaariger Kerl, das Gesicht voller Pockennarben, lachte scheppernd.
»Habt Ihr Euch also doch noch eingefunden?«, fragte Ricard ätzend. »Ihr habt Euch wahrlich Zeit gelassen. Graf Bertran fragte sich schon, ob Ihr ihm den Dienst aufgekündigt habt.«
»Habt Ihr deshalb vorgetäuscht, er habe Euch Vollmachten über die Burg gegeben?«, fragte ich scharf. In mir kochte die Wut hoch. Der Kerl und seine Anmaßung waren unerträglich.
»Das hat er, bei Gott, das hat er!«, er schlug seinem Kumpanen auf den Rücken. »Oder etwa nicht?« Der Pockennarbige hatte verschlagene Augen. Er nickte heftig zu Ricards Worten und versuchte dabei, treuherzig dreinzuschauen. Dann kicherte er. Auch die beiden anderen grinsten weinselig. Einer war ein blonder, stiernackiger Kerl von gewaltigen Körpermaßen. An dem Mal auf der Wange erkannte ich ihn als den Burschen, dem ich den Fluch der Alten im Bekaatal verdankte. Sein Anblick verdüsterte meine Laune nur noch mehr. Der Dritte war mittelgroß, lächelte dünn und beschränkte sich ansonsten aufs Beobachten.
Ricard gab seine lässige Haltung auf und setzte sich aufrecht. »Ihr habt Euch von der Truppe entfernt, und einer muss hier ja nach dem Rechten sehen.«
»Und dazu braucht
Coms
Bertran ausgerechnet einen milchbärtigen Jüngling wie Euch?«
Da wurde er rot, sprang auf und schrie: »Ich bin der Vetter des Grafen. Ich bin Euch keine Erklärungen schuldig.« Dabei schlug er mit der Faust auf den Tisch. Einer der Becher fiel um, und roter Wein tropfte auf den Boden, wo er eine Lache wie Blut
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