Der Bastard
einen Moment an. Dieser Gebhardt machte keinen auffälligen Ei n druck, seine Antworten kamen schnell und wirkten glaubhaft.
Heinlein zückte eine Visitenkarte. «Kommen Sie bitte im Lauf des Tages bei uns vorbei. Wir müssen Ihre Aussage zu Protokoll nehmen. Schönen Tag noch.»
Im Weggehen rief Gebhardt ihnen nach: «Was ist mit dem Jungen passiert? Ist es der, der heute in der Zeitung steht?»
18
H ierher verirrte sich kein Tourist. Zeitungsdrücker und die Zeugen Jehovas hatten den Dallenberg schon längst von ihren Listen gestrichen, denn weiter als bis zum Tor drangen sie nicht vor. Hierher kam nur, wer hier wohnte, und das waren nicht viele. Die Häuser waren umgeben von parkähnlichen Grundstücken, und in den Garagen standen blankpolierte Luxusk a rossen. Auf der Straße musste hier niemand parken. Das Haus der Familie Sibelius war von der Straße aus kaum zu sehen. Dichtes Buschwerk und Bäume versperrten die freie Sicht auf das Anwesen. Pia klingelte am schmiedeeisernen Tor. Während sie wartete, dass sich jemand über die Sprechanlage meldete, bemerkte sie eine kleine Kamera über ihrem Kopf. Sie lächelte freundlich hi n ein.
«Ja, bitte», ertönte kurz darauf eine Stimme.
« Dr. Pia Rosenthal, ich möchte zu Frau oder Herrn Dr. Sibelius.»
Sie ärgerte sich kurz über sich selbst. Wieso hatte sie sich mit Titel vorgestellt, das tat sie sonst nie. Sie musste noch fast eine volle Minute warten, bis schließlich ein Summen ertönte und die Gittertür aufsprang. Sie ging über den Kiesweg zum Haus. Villa war die pa s sendere Bezeichnung. Gelber Verputz und weiße Verzierungen ließen das riesige Gebäude freundlich und einladen d e rscheinen. Sie hätte sich wohl besser telef o nisch anmelden sollen. Aber wir sind ja fast so etwas wie eine Familie, und ich bin die arme angeheiratete Verwandte, dachte sie gehässig. Kurz bevor sie die St u fen zum Haus erreichte, ging die Tür auf, und ein Dienstmädchen wies einl a dend ins Innere des Hauses. Pia fiel keine andere Bezeic h nung für die junge Frau ein. Sie hatte schon fast vergessen, dass es im Sibel i us ’ schen Haushalt zuging wie zu Zeiten der Feudalherrschaft, schwarzes Klei d chen, weiße Schürze und, Pia schüttelte sich inne r lich, ein weißes Häubchen.
«Die gnädige Frau lässt Sie in den Salon bitten.»
Sie ließ Pia eintreten und ging ihr voraus. Über weiche, orientalisch anmutende Teppiche durchque r ten sie die Eingangshalle. Vereinzelt standen Komm o den und Tischchen an den Wänden, die aus verschiedenen Epochen stammten, allesamt wertvolle Antiqu i täten. An den Wänden hingen die Porträts mehrerer Generationen von Sibelius-Männern. Alles Ärzte, wie sich Pia erinnerte. Dann erreichten sie den Salon.
Clara Sibelius erhob sich aus dem Sessel und ging mit weitausgebreiteten Armen auf Pia zu. Sie war e i ne zierliche Frau mit zarten Gesichtszügen und einem nahezu weißen Pagenkopf.
«Pia, meine Liebe.» Pia spürte eine leichte Umarmung, so elegant wie distanziert. «Es ist so schön, dich wiederzusehen. Komm, setz dich.»
Sie führte Pia zu einer Sitzgruppe. Der Raum erinnerte Pia an Maximilians Wohnzimmer. Hell und freundlich trotz der klassischen Möbel aus Mahag o ni. An den Wänden erkannte Pia Stofftapeten.
«Du siehst gut aus. Kann ich dir etwas anbieten?» Mit leichtem Druck auf den Ellbogen dirigierte sie Pia zum Sofa. Ohne eine Antwort abzuwarten, wan d te sie sich zum Dienstmädchen.
«Helene, bringen Sie uns bitte Tee und etwas Gebäck. Ich hoffe doch, du magst Tee, oder ist dir ein Kaffee lieber?»
Pia versicherte, dass Tee ihr durchaus recht sei. Während Clara es sich auf einem Sessel bequem machte, fragte sich Pia, ob das Mädchen den Job bekommen hätte, wäre ihr Name nicht Helene, sondern Mandy oder Brigitte. Aber vielleicht wurden die Mädchen, egal wie sie hießen, einfach alle Hel e ne genannt.
Pia räusperte sich. «Vielen Dank, dass du Zeit für mich hast. Wie geht es dir und Heinrich?»
Smalltalk musste wohl sein. War wahrscheinlich auch klüger, als mit der Tür ins Haus zu fallen, wie sie es bei Maximilian mit wenig Erfolg getan hatte. Es war nicht schwer, denn Clara war eine Meisterin des Smalltalks. Pia musste nur ab und zu eine bestätigende Antwort geben und stellte der Höflichkeit halber zwischendurch eine oberflächliche Frage. Sie sprachen über das Wetter, das herannahende M o zartfest und die neueste Mode. Es war schwer zu s a gen, ob Clara sich tatsächlich über ihren überr a
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