Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bastian

Der Bastian

Titel: Der Bastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
Vom Netzwerk:
soviel trank. Und dann einschlief. Und sie saß da. Mann!
    In Schwabing stieg sie aus und zeigte ihnen ihre
Stammdiskothek. »Da isset wat schön.« Und schön schummrig wär’s auch. Tschööh —
    Es war nicht nur schummrig, es war so dunkel,
daß ein junger Mann sie wie Blinde zu einem Platz führen mußte. Sie erkannten
eine violette Knutschecke mit burgunderroten Knautschkissen und einem
schweinsledernen Nilpferd, das auf seinem Rücken die Getränkekarte wie einen
Sattel trug.
    Sie saßen bereits zwei Minuten, ohne daß sich
ihnen jemand störend genähert hätte. Sie waren allein. Wirklich und lilarot
allein.
    Bastian gab Kathinka Feuer für die Zigarette und
sagte: »Ach, wenn Sie wüßten, was ich Ihnen alles sagen möchte.«
    Und Katharina, an ihrer Zigarette ziehend: »Nun
sagen Sie’s schon.«
    Bastian sagte: »Glauben Sie, daß es hier offenen
Wein gibt?« Sie hatte keine Gelegenheit mehr, seine Zweifel zu teilen, denn mit
einem psychedelischen Lichtaufschrei in Russischgrün setzte die Musik ein.
    Bastian schrie Katharina etwas zu, was sie bei
dem Krach nicht verstand. Sie tauchte grün-weiß-gasvergiftetblau vor ihm auf,
verschwand — war da — wieder weg — da — weg — da — weg — da — weg — er schrie
sich die Kehle aus dem Leib — sie hob bedauernd die Hände.
    Bastian nahm dem Schweinsledernilpferd den
Getränkesattel vom Rücken und schrieb auf seine Rückseite, was er bisher
vergebens versucht hatte Katharina mitzuteilen.
    Katharina las: »Es ist so laut hier«, und
schrieb »ja« darunter. Bastian schrieb: »Gehn wir?«
    Katharina stand sofort auf.
    Der Straßenlärm kam ihnen nach den musikalischen
Prügeln auf ihr Trommelfell wie süßes Säuseln vor. Sie standen vor dem Wagen.
    »Und wohin jetzt?«
    »Jetzt muß ich wirklich heim«, sagte sie.
    Auf der Leopoldstraße waren die Vorgärten der
Lokale überfüllt.
    Bastian sagte: »Auf einen Schoppen.«
    Katharina sagte: »Also gut — aber wirklich nur
auf einen.« Sie fanden nach zehn Minuten einen Parkplatz und nach weiteren zehn
Minuten zwei Stühle mit noch brühwarmer Sitzfläche an einem langen Tisch.
    Da saßen alte und junge Paare und zwei Mädchen
neben einem italienischen Gastarbeiter, der in einem Schulheft schrieb. Nach
einer Weile kam er nicht weiter und legte den beiden Mädchen sein Heft vor. Die
Mädchen brüteten eine Weile über seinem Heft und kamen nicht weiter und gaben
es darum an Bastian und Katharina weiter.
    Bastian, der schließlich auch Deutschlehrer
werden wollte, erkannte auf Anhieb, um was es sich handelte: um das Vaterunser
in Sütterlinschrift.
    Aber — o Schande — er wußte nicht mehr genau,
wie man das große W in Sütterlin schrieb. Katharina wußte es auch nicht. Ein
schräg gegenüber sitzender alter Mann wußte es. Gemeinsam arbeiteten sie das
Vaterunser zu Ende.
    Dann mußte Katharina nach Haus.
    Sie fuhren die Leopoldstraße hinauf. Sahen
Gammler und hochhackige Transvestiten und Pflastermaler und Schmuckhändler und
Inder, die Zeitungen verkauften, und ganz verrückt geschminkte Mädchen im
Trümmerfrauenlook von 1945 und nette junge Leute, die nichts weiter darstellten
als nette junge Leute in Jeans, und einen Haufen Touristen, die gekommen waren,
um sich das alles anzusehen.
    Katharina fuhr langsam. Bastian hatte das
Autoradio angestellt. Eine Gitarre spielte eine klitzekleine, nachdenkliche
Melodie. Die Melodie klang wie ein Feuilleton.
    »Ach, Kathinka«, sagte Bastian, mit dem Nacken
überm Sitzrand, mit den Gedanken am Himmel, »wenn Sie wüßten, was ich Ihnen
alles sagen wollte! Aber es geht mir wie meinem Freund.«
    »Welchem Freund?«
    »Kennen Sie nicht. Heute ist er auch nicht mehr
mein Freund.«
    »Ah so.«
    »Eines Abends saßen wir im Alten Simpl. Die
Weiber flogen auf Kolja — so hieß er. Er hatte was Dämonisches. Und bloß einen
Arm. An dem Abend war ein neues Mädchen an unserem Tisch. Ein guter Typ und
ebenso gescheit wie der Kolja. Die beiden diskutierten die ganze Nacht
miteinander, und wir andern hörten nur zu, und wir waren noch da, wie die Stühle
auf die Tische gestellt wurden. Als wir gingen, schien schon die Sonne. Der
Kolja ging mit dem Mädchen bis zur nächsten Ecke. Da stieg sie in ihr Auto und
ließ ihn stehen. Und erst als sie sich getrennt hatten, fiel ihnen auf, daß sie
sich geradezu grausam ineinander verrannt hatten. Verstehen Sie?«
    Katharina überlegte. Bastian überlegte auch.
    »Warum habe ich Ihnen das eigentlich erzählt?«
    »Ich weiß

Weitere Kostenlose Bücher