Der Benedict Clan 01 - Auf immer und ewig
Den Kopf in Miss Elises Schoß gebettet, lag Pops auf dem nassen Boden. Miss Elise hielt mit der einen Hand einen traurigen, zerdrückten Regenschirm über ihn, mit der anderen strich sie ihm beruhigend über die Wange. Während Roan zu seinem Kollegen hinging, eilte Kane zu seinem Großvater und kniete sich neben ihn auf den Boden.
„Pops", sagte er mit gepresster Stimme, „ich bin bei dir."
Lewis Crompton öffnete die Augen. Verwirrung lag in seinem Blick, aber auch Zorn. Seine Stimme klang kläglich und beängstigend schwach. „Der verdammte Narr hat mich von der Straße abgedrängt."
Von Erleichterung, Trauer und Wut gepackt, wurde Kane die Kehle eng. Roan hatte ihm versichert, dass Pops lebte. Aber Kane musste sich erst mit eigenen Augen davon überzeugen, ehe er es glauben konnte. Die Blutflecken auf dem weißen Haar seines Großvaters, sein schlaff daliegender Arm, gefielen ihm nicht. Er atmete auf, als er in der Ferne die Sirene des Krankenwagens hörte.
Noch immer war ihm die Kehle wie zugeschnürt. Er musste sich ein paar Mal räuspern, ehe er sprechen konnte. „Wer war es, Pops? Wer hat es getan?"
„Ich weiß es nicht." Sein Großvater verzog das Gesicht und presste die Hand auf die Rippen. „Es ging alles so schnell."
Um ihm das Sprechen zu ersparen, übernahm Miss Elise das Wort. „Der Wagen war plötzlich hinter uns und setzte zum Überholen an. Wir wurden zwar von den Scheinwerfern geblendet, aber soweit ich es sehen konnte, hatte das Auto eine dunkle Farbe. Und ich glaube, es war ein neueres Modell. Man kann ja heutzutage einen Wagen kaum mehr von dem anderen unterscheiden. Es tut mir Leid, dass ich nicht mehr dazu sagen kann, aber ..." Mit einem müden Kopfschütteln brach sie ab.
Kane betrachtete sie besorgt. „Sind Sie unverletzt?"
Sie nickte. „Lewis hat den Wagen herumgerissen, so dass er mit der Fahrerseite gegen die Bäume prallte. Er hat mich gerettet."
„Unsinn", widersprach der alte Herr. „Sie hat mich gerettet. Sie hat mich daran erinnert, meinen Sicherheitsgurt anzulegen."
„Das stimmt doch gar nicht", sagte Miss Elise.
Mit einer matten Gebärde nahm Lewis Crompton ihre Hand. „Ich weiß es besser."
Kane fand es beruhigend, dass die beiden zu diesem kleinen Wortgefecht in der Lage waren. Bedeutete es doch, dass es ihnen nicht allzu schlecht gehen konnte. Sie waren beide angeschlagen und würden ihre Kratzer und Blutergüsse noch eine Weile spüren, aber es hätte schlimmer sein können, viel schlimmer.
Der Krankenwagen kam angerast. Mit quietschenden Reifen hielt er an. Fahrer und Sanitäter sprangen heraus und eilten auf sie zu. Minuten später wurden Pops und Miss Elise mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Roan und Kane rasten in ihren Autos hinterher.
Die nächsten drei Stunden hatten etwas Unwirkliches. Es gab Perioden, wo die Zeit quälend langsam verstrich und welche, wo sie zu verfliegen schien. Der Bericht, den sie schließlich nach der Warterei erhielten, war ganz passabel. Pops hatte einen gebrochenen Arm und ein paar gebrochene Rippen sowie verschiedene Prellungen und Schürfwunden. Man wollte ihn zwar zur Beobachtung im Krankenhaus behalten, aber falls nicht noch irgendein unvorhergesehenes Problem auftauchte, würde er sich relativ schnell wieder erholen.
Miss Elise wurde mit einigen Pflastern verarztet und dann entlassen. Sie bat zwar darum, bei Lewis bleiben zu dürfen, aber der alte Herr wollte davon nichts wissen. Nur um ihn nicht unnötig aufzuregen, fügte sie sich schließlich seinem Wunsch und ließ sich von Kane nach Hause fahren.
Als sie ihr Haus am Stadtrand erreicht hatten und Kane aussteigen wollte, um ihr die Wagentür zu öffnen, legte sie ihm die Hand auf den Arm. „Warten Sie", sagte sie mit zitternder Stimme.
„Was ist?" Die Art und Weise, wie sie ihn im grünlichen Licht des Armaturenbretts ansah, der bange Blick, mit dem sie seine Züge erforschte, verhieß nichts Gutes. Er spürte, wie sein Puls sich beschleunigte.
„Ich muss Ihnen etwas sagen. Ich weiß, ich hätte es Roan sagen sollen, damit er es in sein Protokoll aufnimmt, aber ich war mir nicht sicher..."
„Hat es mit dem Unfall zu tun?" fragte er drängend.
Sie senkte den Kopf. „Es war alles so verworren. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, solange ich nicht wusste, dass Lewis keine ernsthaften Verletzungen erlitten hatte." Sie hielt inne. Hart presste sie die Lippen zusammen.
Kane umschloss ihre kalten Finger, die noch immer auf seinem Arm lagen.
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