Der Benedict Clan 01 - Auf immer und ewig
so leben sie bestimmt noch irgendwo, aber ich habe sie nie gekannt."
Sie hatte keine Familie, niemanden, der sie liebte und um ihr Wohl besorgt war.
Offenbar war sie geübt darin, sich etwas vorzumachen, sich einzureden, dass es ihr egal sei. Aber sie litt darunter, das merkte Kane, als er den Schatten sah, der über ihr Gesicht fiel, den schmerzlichen Ausdruck in ihren Augen. Leider durfte er sich kein Mitgefühl leisten. Derartige Emotionen konnte er in seiner Situation am allerwenigsten gebrauchen.
„Wer hat sich um dich gekümmert, nachdem deine Mutter starb?"
„Eine Tante."
„Aber ich dachte, du hättest keinen Kontakt zu den Verwandten deiner Eltern gehabt?" Sein Ton war neutral. Doch er beobachtete sie scharf.
„Sie war keine richtige Tante, sondern eine Freundin meiner Mutter, eine Frau, die sie kennen lernte, kurz nachdem sie nach New York kam." Regina sprach zögernd, vorsichtig, als würde sie ahnen, was er vorhatte. „Sie sagte, wir sollten so tun, als sei sie meine Tante, um Schwierigkeiten mit dem Jugendamt zu vermeiden. Sie fürchtete, man würde ihr das Sorgerecht absprechen, wenn bekannt würde, dass keine Blutsverwandtschaft vorlag. Ich bezweifle jedoch, dass es jemanden interessiert hätte. Jedenfalls ist es mir so zur Gewohnheit geworden, sie als meine Tante zu bezeichnen, dass ich schon fast selber daran glaube."
„Hast du mir nicht erzählt, diese Frau sei gestorben?"
Regina nickte. Sie ließ den Stiel der Erdbeere, die sie gerade gegessen hatte, auf den Teller fallen und griff nach der nächsten. „Ja", sagte sie mit tonloser Stimme, „knapp sechs Jahre, nachdem sie mich zu sich genommen hatte."
„Und was geschah dann? Du warst doch noch sehr jung, nicht wahr? Wie alt, sagtest du, bist du gewesen, als deine Mutter starb? Zehn?"
„Die Frau hatte einen Sohn, der wie ein Bruder für mich war. Ich bin bei ihm geblieben."
„Dann habt ihr zwei also eine Art Familie gebildet."
„So ungefähr." Regina hielt den Blick auf die Erdbeerblättchen geheftet, die sie mit der Fingerspitze um den Tellerrand herumschob.
„Aber eigentlich ist er kein Cousin." Kane wollte akzeptieren, dass sich die Sache so verhielt, wie sie sagte. Was ihn überraschte, war, wie gern er es glauben wollte.
„Du hast ja keine Ahnung, wie schwierig es ist, ein Apartment in New York zu finden. Ich habe mir schon so lange vorgenommen, in eine eigene Wohnung umzuziehen, aber weil ich ständig reisen muss, bin ich nie dazu gekommen." Sie ließ die Blattrosette auf dem Tellerrand liegen. „Jemand wie du, der von einem Familienclan umgeben ist, kann sich ein Leben wie meines vermutlich nur schwer vorstellen."
„Ja, da hast du Recht."
„Wenn man nur so wenige Menschen hat, die einem nahe stehen, klammert man sich natürlich an sie." Während Regina das sagte, blickte sie endlich auf, um ihn anzusehen.
Kane versuchte ihren bedrückten Ton zu überhören. Er wollte sich nicht davon beeinträchtigen lassen. „Ich kann mir vorstellen, wie sehr du an deinem Sohn hängst", bemerkte er ruhig. „Wer kümmert sich um ihn, wenn du unterwegs bist, so wie jetzt?"
„Wegen einer Lernschwäche muss er ein spezielles Internat besuchen. Diese Lernschwäche hat einen negativen Einfluss auf sein Verhalten, er ist frustriert und hyperaktiv und kennt keinerlei Disziplin, was gefährlich ist in einer Stadt wie New York, wo er in den Verkehr hineinlaufen oder sich vom Apartment entfernen könnte. Er nimmt Medikamente, die ihn dämpfen, braucht aber ständige Beaufsichtigung." Mit einer hilflosen Handbewegung brach sie ab. Kane sah Tränen in ihren Augen glänzen, ehe sie den Kopf senkte und den Blick auf die Schüssel mit den Erdbeeren heftete. Sie nahm sich eine Beere und biss hinein, obwohl ihre mechanischen Bewegungen verrieten, dass ihr im Moment gar nicht nach essen zu Mute war.
„Ist der Junge der Grund dafür, weshalb du niemals geheiratet, keine eigene Familie gegründet hast?"
Sie leckte sich abwesend die Kokoscreme vom Finger, ehe sie sich eine Serviette nahm. „Er ist einer der Gründe", antwortete sie. „Die übrigen kennst du ja." Sie blickte auf. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde verschlossen und abweisend. „Was soll dieses Verhör? Wenn du hergekommen bist, um mir Fragen zu stellen, sollte ich vielleicht einen zweiten Anwalt kommen lassen."
„Das wäre nur dann nötig, wenn du etwas zu verbergen hast", erwiderte Kane, um dann mit banger Spannung auf ihre Antwort zu warten.
Sie zwinkerte.
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