Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
arroganten Ausdruck zur Schau trug. Er war aber klug genug, darauf zu warten, welche Anweisungen Wade ihm nach der Befreiung gab, ehe der sich den Fesseln der Frau widmete.
Ihr Gesicht war eine gespenstische Maske. Trotz des verschmierten Make-ups waren Schmerz und Entsetzen zu erkennen. Sie hatte man förmlich wie ein Paket verschnürt, so dass es unmöglich war, aus eigener Kraft von hier fliehen zu können. Mit ein paar raschen Schnitten durchtrennte er ihre Fesseln, dann legte er eine Hand auf ihren Mund, damit sie nicht laut aufstöhnte, als er ihr half, wieder eine gerade Haltung anzunehmen. Er zog sie hoch und legte einen Arm um sie, um sie zu stützen, während er in der freien Hand seine Waffe hielt. Er bedeutete dem Yale-Absolventen, ihm zu folgen; dann ging er den Weg zurück, den er gekommen war.
Noch bevor er den zweiten Schritt hatte machen können, hörte er, dass ein Befehl geschrien wurde. Schüsse wurden abgefeuert, eine Tür wurde eingetreten. Etwas stimmte hier nicht, die Operation lief zu früh an. Er versuchte, sich zu beeilen, während er die Frau durch den Korridor mit sich schleifte.
Der Ausgang vor ihnen wurde durch einen Mann blockiert. Das dumpfe Geräusch gedämpfter Schüsse hallte von den Wänden zurück. Wade spürte, wie die Frau zusammenzuckte, als sie von den Kugeln getroffen wurde. Er merkte, wie ihr warmes Blut über seine Finger lief. Er hob seine Waffe und zog ab. Dann flammte ein rot-orangener Feuerball auf, erhellte die Nacht, und die Welt zerbarst in tausend Stücke.
Wade schoss so schnell hoch, dass er bereits im Bett saß, ehe er die Augen aufmachen konnte. Er röchelte, sein Gehirn schien in Flammen zu stehen. Das purpurrote Mal aus vernarbtem Gewebe an seiner linken Seite und die Furche, die von den Haaren an seiner Schläfe verdeckt wurde, brannte vor Phantomschmerzen. Seine Ellbogen waren auf seine angewinkelten Knie gestützt, als er die Augen wieder schloss und die Handflächen auf seine Lider presste. Schließlich ließ er die Hände sinken und schüttelte sich wie ein nasser Hund.
Die Ursache für diesen Albtraum war für ihn alles andere als ein Rätsel. Er hatte ihn erlebt. Und erlebte ihn erneut, als er bei der Abschlussbesprechung erklärt hatte, dass der Tod einer der beiden Geiseln kein Fehler des DSS gewesen war, sondern eine Falle. Monatelang waren vor seinem geistigen Auge immer wieder diese Bilder entstanden. Warum der Albtraum jetzt wiederkehrte, nachdem er ihn vor Jahren erfolgreich aus seinem Kopf verbannt hatte, war ihm gleichfalls kein Rätsel. Er war schon einmal gescheitert, als er eine Frau aus einer gefährlichen Situation hatte retten sollen, und er fürchtete, das könnte jetzt noch einmal geschehen.
Die beiden Fälle waren sich in keinem Punkt ähnlich, Wade wusste das. Er hatte einfach unter keinen Umständen ahnen können, dass der Ölbaron den Tod seiner Frau gewollt hatte. Grund dafür war nicht ihre Gewohnheit gewesen, fremde Männer zum Tanz aufzufordern, sondern es hatte politische Motive gegeben. Für Wade machte das jedoch keinen Unterschied, und so sah er sich veranlasst, seine Entscheidungen und sein Handeln in dieser Nacht in Frage zu stellen und darüber zu rätseln, ob er sich richtig verhalten würde, wenn er noch einmal in eine ähnliche Situation geraten sollte.
Manchmal glaubte er, das Problem bestehe darin, dass der
Zwischenfall nie wirklich aufgeklärt worden war. Nat Hedley hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um für Aufklärung zu sorgen, leider ohne Erfolg. Es herrschte - vielleicht inszeniert, vielleicht auch nicht - beträchtliche Verwirrung darüber, wer das Startsignal für die Operation gegeben hatte oder wer als Erster durch den Hintereingang gestürmt war. Tagelang war Wade nicht in der Lage gewesen, einen Bericht zu erstellen, und der Vizekonsul hatte nichts gesehen, weil er nach den ersten Schüssen sofort zu Boden gegangen war. Einem wohlhabenden und einflussreichen Bürger, der gerne und großzügig für Wahlkampagnen spendete, zu unterstellen, er habe seine Frau umbringen lassen, war nicht gerade die Art von Anschuldigung, die viele Befürworter fand. Die Urne mit der Asche der Toten wurde in die Vereinigten Staaten geflogen, und nur eine Woche später erschoss sich der Ölbaron, der an einer Form der Alzheimerschen Krankheit litt. Der Einsatz wurde als ein unglücklicher Unfall während einer Befreiungsaktion nach einer Geiselnahme zu den Akten gelegt, und ganz gleich, wie sehr irgendjemand darauf
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