Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
„Ich benutze es als Vorlage.“
Er schüttelte langsam den Kopf. „Erstaunlich.“
„Dass ich mir die Mühe mache oder weil ich weiß, dass Sie der Autor sind?“
„Sowohl als auch.“
„Dieses Buch ist unter anderem ein Grund dafür, weshalb ich hier bin.“ Sie schaute auf den Fotoband und strich mit der Hand über die glatte Vorderseite, auf der zwei weiße Kraniche mit leicht orangefarben getönten Schwingen in einen Sonnenuntergang hineinflogen.
„Unter anderem?“
Sie überhörte die Bemerkung und fuhr fort: „Ich habe mich in die Sümpfe verliebt, die Sie porträtieren. Und da ich auf der Suche nach Inspiration war, schien mir diese Gegend gute Möglichkeiten zu bieten. Natürlich traf es sich günstig, dass ich Denise kannte.“
„Natürlich.“ In dem Wort schwang eine gewisse Ironie mit. „Woher kennen Sie sich eigentlich? Sie überlässt die Hütte nicht jedem“, fragte er in der Hoffnung, ein bisschen mehr über sie in Erfahrung zu bringen.
„Durch die Schule“, sagte sie kurz angebunden.
Das konnte alles bedeuten, weil Denise’ Großvater während des Zweiten Weltkriegs von Turn-Coupe weggezogen war, nachdem er unten in Houma einen Job auf der Werft bekommen hatte. Und dann war dieser Zweig der Benedicts nur noch zu Angelausflügen nach Turn-Coupe zurückgekehrt. Aber zufälligerweise war Houma auch ein Stützpunkt für die Crews, die auf küstennahen Ölplattformen nach Öl bohrten. Matt hatte während seiner im Zweiwochenrhythmus wechselnden Schichten oft bei Denise und ihrer Familie übernachtet, und vielleicht hatte sie ihn ja dort kennen gelernt.
„Denise hat oft von den Sommerurlauben geschwärmt, die sie mit ihrer Familie hier am See verbracht hat“, fuhr sie wider Erwarten nach einer kurzen Pause fort. „Und von all den Tagen, die sie zusammen mit ihren Cousins mit Angeln, Schwimmen und Faulenzen zugebracht hat. Irgendwann einmal hat sie mich dann eingeladen, mit ihr hier rauszukommen.“
„Wenn man ein Auge für seine Schönheiten hat, ist es ein herrliches Fleckchen“, gab er zurück. „Obwohl es viele Leute einfach nur drückend heiß und tückisch und moskitogeplagt finden, was natürlich auch stimmt. Aber es ist auch ruhig und friedlich hier, mehr als nur ein bisschen exotisch und ungeheuer fruchtbar. Dieser Platz beherbergt hunderte von Fisch-, Vogel- und Säugetierarten und unendlich viele Pflanzen, angefangen von so winzigen wie Gänsegrütze bis hin zu uralten riesigen Zypressen, die fast in den Himmel wachsen.“
„Sie lieben diesen Ort“, stellte sie ruhig fest.
Er hob eine Schulter. „Verrückt, aber so ist es.“
„Ich finde es überhaupt nicht verrückt.“ Sie schwieg einen Moment und senkte den Blick. Schließlich fragte sie: „Ich nehme nicht an, dass Sie etwas über Pflanzen wissen, aus denen man blaue Farbe gewinnt und die vielleicht hier wachsen?“
„Pflanzen, aus denen man blaue Farbe gewinnt?“
„Ja. Ich entwerfe nicht nur die Muster für meine Stoffe, sondern färbe sie auch von Hand mit Naturfarben. Die Farbtöne sind nie gleich, sondern fallen bei jedem Ballen anders aus, weil dabei so viele verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, einschließlich des Farbtons des ungefärbten Stoffs, der von den Pflanzenfasern selbst stammt. Jeder dieser Ballen ist ein Unikat.“
„Und deshalb so teuer?“
Ihr Lächeln war kühl. „Richtig, aber die Herstellung ist auch wesentlich aufwendiger.“
„Und was ist mit diesen Pflanzen, die Sie suchen?“
„Blau ist von allen Naturfarben die seltenste. Man findet in der Natur alles Mögliche, woraus man unendlich viele Grün-, Gelb-, Braun- oder Rottöne gewinnen kann, aber für reines Blau gibt es nur eine Hand voll Pflanzen.“
„Wie zum Beispiel Indigo oder Holunder?“
Überrascht schaute sie ihn an. „Sie kennen sich aus.“
„Nur ein bisschen. Als Junge habe ich versucht, meine Ledersachen zu färben und zu bemalen, so wie es die amerikanischen Ureinwohner gemacht haben.“
„Indigo und Holunder habe ich, zumindest in getrocknetem Zustand. Ich hatte eigentlich auf etwas Selteneres gehofft.“
„Und Arty haben Sie schon gefragt, nehme ich an?“
Ihr Lächeln wirkte fast belustigt. „Er hat abgewinkt, mit der Bemerkung, dass er es eher mit Viechern als mit Pflanzen hätte. Und er meinte, dass Sie mein Mann sind.“
Bei dieser verheißungsvollen Wendung riss Clay den Kopf herum und begegnete ihrem Blick. Schlagartig wurde er von demselben Verlangen überschwemmt, gegen das
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