Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
Sie Recht haben?“
„Dann sind Sie noch verrückter, als ich dachte.“
Langsam drehte sie sich zu ihm um. Ihre nächsten Worte kamen unsicher und atemlos heraus, so als ob sie gerade schnell gerannt wäre. „Vielleicht bin ich das ja, aber so etwas passiert eben manchmal. Zum Beispiel dann, wenn man hilflos mit ansehen muss, wie die eigene Tochter Höllenqualen leidet, wenn ihr Blut abgenommen wird, weil ihre Venen schon ganz zerstochen sind, oder wie sie einen anfleht, nicht für die nächste lebenswichtige Untersuchung ins Krankenhaus zu müssen. Wenn man beobachten muss, wie sie sich ein Lächeln abringt, damit die Krankenschwestern sie nicht herumschubsen und ihr dabei wehtun. Wenn jede zweite Nacht eine Dialyse durchgeführt werden muss und man verzweifelt versucht, keinen Fehler dabei zu machen, trotz der Unterbrechungen durch klingelnde Telefone, Türklingeln oder durch Ungeschicklichkeiten, die passieren, weil man zu wenig geschlafen hat. Wenn man jede Woche die Untersuchungsergebnisse vor sich sieht und weiß, dass sie das nächste Mal wahrscheinlich noch schlechter ausfallen werden. Wenn man vor Hoffnung und Freude fast durchdreht, weil man die Nachricht erhält, dass jetzt endlich eine Niere verfügbar ist, nur um wenig später zu erfahren, dass sie nicht kompatibel ist. Oder wenn einem das Geld fehlt, um sich die Dinge leisten zu können, die dem kranken Kind das Leben wenigstens ein bisschen erträglicher machen könnten.“
„Bitte nicht“, meinte er schroff, aber doch höflich, während er einen Schritt auf sie zuging. Trotzdem konnte sie nun, da sie einmal angefangen hatte, nicht mehr aufhören.
„Und dann sind da noch die kleinen Probleme wie zum Beispiel aufzupassen, dass sie ihr Lieblingsspielzeug nie verbummelt, weil es das Einzige ist, was sie davon abhalten kann zu weinen. Oder dass man sich alle Mühe geben muss, ihr nicht wie alle anderen Schmerzen zuzufügen, obwohl man weiß, dass es gar nicht anders geht. Auf alle Fälle aber muss man mit anhören, wie sie weint, wenn es zu wehtut.“
„Janna, bitte, hören Sie auf“, sagte er wieder heiser, während er die gefesselten Hände ausstreckte, um ihr sacht über den Arm zu fahren.
Ohne ihn zu beachten fing sie an, sich zur Beruhigung langsam hin und her zu wiegen, während sie mit bebender Stimme fortfuhr: „Ich muss immer die böse Mama sein und ihr alles verbieten, was ihr Freude macht. Sie darf nicht schwimmen gehen, weil sie sich dabei infizieren könnte, darf keinen Kuchen, kein Eis und keine Chips essen, da jeder Bissen, den sie zu sich nimmt, nahrhaft sein sollte. Nein, sie darf auch nicht mit anderen Kindern spielen, weil sie sich dabei eine Erkältung einfangen könnte, die eine Operation zum festgesetzten Zeitpunkt unmöglich machen würde. Und rausgehen ist auch nicht erlaubt, da es zu heiß oder zu kalt oder zu windig oder zu nass ist. Genauso wenig wie rennen, weil sie hinfallen und sich verletzen könnte. Nein, nein, nein, immer nur nein. Kann man dieses Leben eigentlich noch als lebenswert bezeichnen?“
Clay ließ ihren Arm los, nahm ihr das Glas aus der zitternden Hand und stellte es auf der Herdplatte neben seinem ab. Dann hob er seine Arme über ihren Kopf, umfing sie und zog sie tröstlich an sich. Erst als ihr Gesicht mit seiner nackten Schulter in Berührung kam, fiel ihm auf, dass sie weinte; die Tränen strömten ihr über Wangen und Hals und sammelten sich in der kleinen Kuhle zwischen ihren Schlüsselbeinen. Als er sie behutsam noch ein bisschen enger an sich zog, verlor sie auch noch den letzten Rest ihrer mühsam aufrechterhaltenen Fassung.
Mit einem erstickten Aufschluchzen schlang Janna ihre Arme um seine Taille und presste sich an ihn, während sich ihre Brust unter ihren mühsamen Atemzügen hob und senkte. Beruhigend fuhr er ihr mit den Händen über den Rücken und murmelte dabei irgendwelche Worte, die sie nicht verstehen konnte. Sein Kinn streifte in einer ziellosen Liebkosung ihre Schläfe, und da ihr die Tränen immer noch über die Wangen strömten, tupfte er ihr in einer Art leidenschaftsloser Zärtlichkeit, wie man sie einem unglücklichen Kind entgegenbringt, einen Kuss auf die Stirn und noch einen in einen tränennassen Augenwinkel.
Seine Versuche, sie zu trösten, taten Janna so gut, dass sie langsam ihre Fassung wiederfand und sich mit dem Ärmel ihres Nachthemds die Tränen abwischte. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und schaute Clay aus tränenumflorten Augen forschend
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