Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
immer wieder an das zusätzliche Geld denken, das Dr. Gower von ihr verlangt hatte. Das merkwürdige Verhalten des Arztes beunruhigte sie sehr. Und noch mehr quälte sie Clays geduldige Ruhe, die sie an einen Wolf erinnerte, der seine Beute wittert. Jahrelang unterdrücktes Verlangen tobte in ihr, zusammen mit dem neuen Wissen, wie leicht der Mann im Zimmer nebenan es befriedigen könnte.
Sie würde noch verrückt werden. Denn nichts lief wie geplant. Und falls alles schief ging, bedeutete das nicht nur, dass sie ins Gefängnis kommen, sondern auch, dass ihre Tochter sterben würde.
Das Einzige, was Janna trösten konnte, während sie so dalag und in die Dunkelheit starrte, war das Quietschen der Bettfedern in Clays Zimmer. Obwohl er so beherrscht gewirkt hatte, schien er doch offenbar auch nicht schlafen zu können.
Der nächste Tag war ein Albtraum. Die Probleme begannen um sechs Uhr morgens, als ein Tanklastzug kam, um Gas nachzufüllen. Janna hörte ihn vorfahren, aber sie wusste nicht, um was für ein Fahrzeug es sich handelte, bis sie aufstand und aus dem Fenster schaute. Während sie sich anzog, war der Fahrer bereits dabei, den Schlauch zu dem Gasbehälter hinter der Hütte zu legen.
Janna langte nach ihrer Handtasche, dann eilte sie nach draußen. Im Vorbeigehen machte sie leise Clays Zimmertür zu, wobei sie inständig hoffte, dass er den Besuch verschlief, obwohl sie sich darauf nicht verlassen konnte. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander, als sie versuchte, sich eine Erklärung dafür zurechtzulegen, warum sie ihn hier gefangen hielt, falls er es schaffte, sich irgendwie bemerkbar zu machen. Doch das Einzige, was ihr einfiel, war zu beschämend, um es in Worte zu fassen.
Offenbar hatte Denise die Lieferung bestellt; wahrscheinlich befürchtete sie, dass die Gasvorräte knapp werden könnten. Wenig später musste Janna erfahren, dass der Gasmann namens Mike ein Cousin von Denise war. Dabei fiel ihr ein, dass die Freundin sich früher bei ihr beklagt hatte, wie unmöglich es war, in Tunica Parish etwas geheim zu halten, weil es immer irgendwelche Verwandte gab, die einen sahen.
Cousin Mike – er war lang und dünn und hatte sandfarbenes Haar und ein gewinnenden Grinsen – war äußerst redselig. Während er lässig und dennoch geschickt seine Arbeit verrichtete, verriet er Janna die besten Fanggründe am See und erkundigte sich, woher sie und Denise sich kannten. Außerdem erfuhr sie, dass seine kleine Tochter im selben Alter war wie die kürzlich geborene Tochter von Denise’ Cousin Kane, dass Lukes Frau April Halstead gerade ein neues Buch veröffentlicht hatte und dass wegen der bevorstehenden Hochzeit des Sheriffs in der Stadt schon große Aufregung herrschte. In der Hoffnung, dass er so weniger darauf achten würde, was innerhalb des Hauses vor sich ging, ließ Janna seinen Redeschwall über sich ergehen; obwohl sie sich im Moment keine allzu großen Sorgen machen musste, dass Clay sich bemerkbar machen könnte, weil der Tanklastzug selbst einen Höllenlärm machte.
Sie war in Gedanken so mit diesem Problem beschäftigt, dass ihr fast entgangen wäre, wie er das Thema gewechselt hatte. Doch plötzlich horchte sie auf. „Was? Was haben Sie gesagt?“
„Der Junge trieb im Sumpf. Schauerliche Sache.“ Cousin Mike schüttelte bedrückt den Kopf. „Seine Familie kann einem wirklich Leid tun. Sie werden wahrscheinlich nicht aufhören können, sich zu fragen, was er alles durchgemacht hat oder ob er schon tot war, als sie ihn aufgeschlitzt haben.“
„Bitte.“ Ihre Stimme klang erstickt, da Janna sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund geschlagen hatte.
„Entschuldigung, aber es will mir einfach nicht in den Kopf, dass es Leute gibt, die einen Jungen umbringen und ihm dann die Organe rausschneiden, um sie zu verkaufen. Denn worum sollte es sonst wohl gehen?“
Janna spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Bei ihren Nachforschungen über Laineys Krankheit hatte sie genug Fotos von Organentnahmen gesehen, um sich lebhaft vorstellen zu können, was für Verletzungen dabei entstanden. Doch jenseits dieser Bilder lauerte ein Gedanke, der zu entsetzlich war, um ihn auch nur in Betracht zu ziehen.
Mit schwacher Stimme fragte sie: „Passiert so etwas hier öfter?“
„Großer Gott, nein! Das ist das erste Mal.“
„Und der Täter ist noch nicht gefasst?“
„Sie haben den Jungen noch nicht mal identifiziert. Ich meine, er hat ja eine ganze Weile im Wasser gelegen. Ich schätze, der
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