Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
heiß und belebend. Nachdem sie sich die letzten Reste des Krankenhausgeruchs aus den Haaren gewaschen hatte, dufteten sie herrlich frisch nach Rosen und Kräutern. Schließlich stieg sie aus der Wanne, kämmte die langen Haare aus, frottierte sie noch einmal kräftig durch und warf sie dann auf den Rücken.
Es erschien ihr nicht ratsam, ins Bett zu gehen, solange ihre Haare noch nass waren. Zudem war sie zu aufgekratzt, um schon schlafen zu können, obwohl sie eigentlich todmüde war. Hinzu kam ein Gefühl von Unwirklichkeit, überlagert von Rastlosigkeit. Sie war so lange allein für ihre Tochter verantwortlich gewesen, dass es ihr jetzt seltsam vorkam, nicht in Laineys Nähe zu sein. Sie hatte das Gefühl, dass sie eigentlich woanders sein sollte und kein Recht hatte, faul hier herumzusitzen und sich nur mit sich selbst zu beschäftigen.
Außerdem war sie jetzt trotz allem ein bisschen hungrig. Mit leerem Magen würde sie womöglich nicht einschlafen können.
Das locker fallende Baumwollhemd, das ihr bis zu den Knien reichte, war dezent und hatte absolut nichts Aufreizendes. Als sie sich vor dem Schrankspiegel drehte, sah sie, dass sogar im Gegenlicht der Umriss ihres Körpers kaum zu erkennen war. Nicht, dass sie befürchten müsste, sie könnte Clay in Versuchung führen. Er schien gar nicht interessiert zu sein. Davon abgesehen hatte er wahrscheinlich bereits gegessen und war schon zu Bett gegangen.
Doch sie hatte sich geirrt.
Clay saß auf einem Barhocker in der großen Küche mit den weißen Schränken und den hohen Bleiglasfenstern, die in der Mitte mit bunten Art déco-Mustern verziert waren. Er trug nur Shorts, sein Haar war nass vom Duschen und auf seinen Schultern glitzerten noch ein paar Wassertropfen. Als Jannas Blick auf ihn fiel, wurde ihr Mund trocken.
Offenbar hatte er sie kommen hören, da er sich umdrehte; sein Körper war angespannt, die Augen wachsam. Als sein Blick auf sie fiel, entspannte er sich wieder und lächelte sie an.
„Hast du’s dir anders überlegt? Es ist noch eine Menge da.“
„Wenn du nichts dagegen hast.“
Das Festmahl, das auf dem schiefergrauen Tresen ausgebreitet war, bot oblatendünne Schinkenscheiben, Cheddar, Butterkräcker, Apfelscheiben und Brownies mit Nüssen und Karamellstückchen. Clay benutzte ein Küchentuch als Teller und streckte jetzt die Hand aus, um ihr von der Rolle, die an einem schweren Messinghalter hing, ebenfalls eines abzureißen. Dann stand er auf, ging um seinen Stuhl herum zum Küchenschrank, um noch ein Glas herauszunehmen, öffnete den Kühlschrank und fragte über die Schulter: „Milch, Eistee oder etwas Prickelndes?“
„Was denn? Champagner?“
„Ich dachte eigentlich eher an Cola, aber wenn du etwas Alkoholisches willst, habe ich auch einen Bordeaux da.“ Er streckte die Hand nach einer Flasche aus, die weit hinten auf dem obersten Regalbrett stand.
„Nein, nein, war nur ein dummer Scherz. Milch ist okay“, antwortete sie, während sie sich setzte. Mit etwas Glück würde die Milch ihr vielleicht sogar helfen einzuschlafen.
Er schenkte das hohe Glas voll und brachte es ihr, dann setzte er sich wieder auf seinen Barhocker. Als er den Schinken und den Käse in ihre Reichweite schob, nahm sie sich je eine Scheibe und dazu zwei Kräcker, während er sich ein Brownie angelte. Sie aßen eine Weile, während das Schweigen zwischen ihnen immer lastender wurde.
Janna streckte die Hand nach ihrem Glas aus und trank einen langen Schluck. Es fühlte sich gut an, wie die kalte Flüssigkeit durch die Kehle rann und ihren nervösen Magen beruhigte. Nachdem sie das Glas wieder abgestellt hatte, fuhr sie mit den Fingern über die beschlagene Seite. Schließlich schaute sie Clay an und sagte langsam: „Ich sollte mich bei dir bedanken, weil du Roan vorhin nicht angerufen hast. Ich bin sehr froh darüber.“
In dem Blick, den er ihr zuwarf, lag keinerlei Wärme. Er war ganz offensichtlich nicht glücklich mit ihrer Entscheidung. Es war sogar möglich, dass er sich selbst noch gar nicht endgültig entschieden hatte.
„Ich weiß, dass dir das, was ich mache, nicht gefällt“, fuhr sie fort. „Du hältst es für falsch und sogar für gefährlich. Und vielleicht hast du Recht. Ich weiß es nicht.“
„Vielleicht?“
„Na gut, wahrscheinlich“, räumte sie widerstrebend ein. „Aber ich kann es jetzt nicht einfach vergessen.“
„Wen versuchst du zu überzeugen, Janna? Mich oder dich selbst?“
Sie wich seinem ruhigen Blick aus.
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