Der Berg der Sehnsucht: Big Sky Mountain (German Edition)
abzuholen. Daisy saß auf dem Beifahrersitz, hechelte aufgeregt und nahm mit ihren sanften braunen Augen alles interessiert in sich auf, was es ringsum zu sehen gab, fast so, als müsste sie später bei einem Quiz Fragen dazu beantworten, was sie unterwegs alles gesehen hatte.
Die Kindertagesstätte nahm eine Ecke des Gemeindezentrums ein, in dem auch die Handelskammer ihren Sitz hatte. Das lang gestreckte Gebäude wies zudem mehrere Konferenzräume auf sowie einen Saal mit Bühne, der für Aufführungen genutzt werden konnte. Dort waren unter anderem das örtliche Laientheater zu Hause sowie der Kunst- und der Gartenverein. Es fanden Tanzveranstaltungen, Hochzeitsfeiern und anderes statt. Draußen gab es zudem ein Schwimmbad, einen Tennis- und einen Baseballplatz.
Die Stadt war mit Recht stolz auf die gesamte Anlage, deren Pflege vor allem von Freiwilligen geleistet wurde.
Kendra stellte den Wagen wie üblich nahe dem Baseballplatz ab, dann nahm sie Daisy an die Leine und hielt für alle Fälle einen Häufchenbeutel bereit. Es dauerte eine Weile, ehe Madisons „Klasse“ entlassen wurde und die Kinder nach Hause konnten. Als dann die Glocke schrillte, vergingen nur wenige Augenblicke, bis die Türen aufflogen und die Kinder laut lachend und tobend nach draußen gestürmt kamen, um ihrer aufgestauten Energie freien Lauf zu lassen und um die wiedergewonnene Freiheit zu feiern.
Als Madison nach draußen kam, sah sie sofort zu Kendras Wagen und kam mit strahlender Miene zu ihr gelaufen, während sie mit einem Blatt Papier herumfuchtelte. „Guck mal, was ich gemalt habe!“, krähte sie und drückte Kendra das Blatt in die Hand, dann warf sie sich ins Gras, um Daisy zu streicheln.
Kendra betrachtete das Kunstwerk ihrer Tochter und spürte, wie ihr ein Stich durchs Herz ging. Madison hatte mit grünem Stift ein Haus gezeichnet, das auf Anhieb als das Haus zu erkennen war, in dem sie jetzt lebten. Im Garten standen vier markante Figuren - ein Mädchen mit feuerrotem Haar, ein gelber Hund, ein Strichmännchen mit großer blauer Halskette, das Kendra darstellte, und daneben ein großer Mann in Jeans, lila Hemd, braunen Stiefeln und einem riesigen Cowboyhut auf dem Kopf.
Hutch.
„Das ist eine Familie “, erklärte Madison aufgeregt. „Eine mit einem Cowboy-Daddy.“
Kendra schluckte. „Das sehe ich“, sagte sie leise, ehe sie Madison das Blatt zurückgab. „Das ist ein sehr schönes Bild“, fügte sie noch an, traute sich aber nicht, mehr zu sagen, weil sie nicht wusste, ob sie dann ihre Tränen noch zurückhalten konnte.
„Können wir das an den Kühlschrank hängen?“, fragte Madison und sah sie so ernst an, als erwarte sie, eine Absage zu bekommen und dagegen protestieren zu müssen.
„Ja, natürlich“, antwortete Kendra, nachdem sie sich geräuspert hatte, dann verbrachte sie die nächsten Minuten damit, Kind und Hund sicher im Wagen unterzubringen.
„Meine Freundin Brooke hat einen Daddy“, verkündete Madison, als Kendra schließlich losgefahren war. „Und die meisten anderen Kinder auch.“
Gib mir Kraft, schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel. „Ja“, sagte sie nur.
„Sie malen alle einen Daddy in ihr Bild, und darum hab ich das auch gemacht“, erläuterte Madison. „Ich hab aus meinem einen Cowboy gemacht.“
„Hat denn dein Cowboy auch einen Namen?“, wollte Kendra wissen. Sie konnte dem Kind nicht einfach den Mund verbieten, und das Thema konnte sie auch nicht wechseln, denn Madison würde so lange über Daddys reden, bis sie genug davon hatte.
„Cowboy-Mann“, sagte sie fröhlich und so selbstverständlich, als könnte es keinen anderen Namen geben. „Er hat ganz viele Pferde, und irgendwann darf ich bei ihm auf einem Pferd reiten.“
„Das wird bestimmt aufregend werden“, stimmte Kendra ihr lächelnd zu.
„Er hat es gesagt“, bekräftigte Madison. „Du hast doch gehört, dass er das gesagt hat, Mommy. Dass ich auf einem Pferd reiten darf, wenn du einverstanden bist.“
„Ja, das habe ich gehört.“ Konnte sich Hutch überhaupt noch an dieses Angebot erinnern? Oder hatte er dem Kind nur das erzählt, was es in dem Moment von ihm hatte hören wollen? Vermutlich war es von ihm nur so dahingesagt worden.
Aber für Madison war es ein heiliges Versprechen gewesen.
Nachdenklich kaute Kendra auf ihrer Unterlippe herum. Sie konnte natürlich mit dem Argument ankommen, dass sie Madison so etwas erst in einigen Jahren gestatten würde, wenn sie älter und größer war.
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