Der Bernstein-Mensch
trank und stahl Geld. Das Leben wurde schal, wie ein Brot, das zu lange offen dagelegen hatte. Mit sechsundzwanzig floh sie zum Jupiter. Wo sonst drehte sich dieser plumpe, rosige Riese, der Prinz der Sonne?
Sie hatte Tränen in den Augen.
Die Realität, das begriff sie jetzt, liegt hier. So viele Leute behaupteten – auch Bradley würde das sagen –, das Phänomen sei innerlich. Eine Lüge. Ganz und gar dummes Zeug. Der menschliche Körper unterdrückt die Realität und hält sie gefangen. Die Leere ist frei: outer space, der Weltraum. Mein Gott, dachte sie, wenn es eine Antwort gibt, wo sonst kann sie dann sein?
Der leere Raum.
Allmählich vergrößerte sich der gelbe Punkt des Orb und nahm die vertraute, konkrete Form einer Blechbüchse an. Tsubata schlief, und sie weckte ihn nicht. Das Nichtstun stumpfte ihre Sinne ab; nur die beständigen Stimuli täglicher Abwechslung ließen sie aufblühen. Es würde guttun, das Shuttle allein zurückzusteuern.
Zögernd rief sie die Flugüberwachung. Schon zweimal hatte Bradleys Stimme ungebeten in ihren Ohren gezwitschert. Sie hatte ihn ignoriert, unpersönlich und einfach. Nach einer Weile hatte er jedesmal wieder aufgehört.
Eine Physikerin, Norah Mann, hatte Wache. Sie antwortete auf Maras Ruf.
„Ist Bradley Reynolds da?“ fragte Mara.
„Ja“, sagte Norah Mann. „Wollen Sie ihn sprechen?“
„Um Himmels willen, nein. Sagen Sie ihm, er soll zum Teufel gehen.“
„Er sagt, er will auch nicht mit Ihnen sprechen.“
„Das glaube ich.“
„Er spricht mit Ihnen, wenn Sie wieder da sind.“
„Sagen Sie ihm, ich kann’s kaum erwarten.“ Das Orb beherrschte den Blick voraus, mit seinen häßlichen Säumen und Nähten in der unpolierten Außenhaut. Mara tauschte mit Norah Mann die notwendigen Daten aus.
„Sie kommen jetzt sehr nah“, sagte Norah.
„Ja.“ Mara stellte das Triebwerk ab. Sie griff nach der Handsteuerung. Tsubata schnarchte leise in ihren Ohren. Es war eine rein mechanische Tätigkeit; die Bay war wie ein Ring, den sie fangen mußte.
Sie drückte einen Knopf und erwartete einen kurzen Stoß aus den Düsen.
Nichts geschah.
Automatisch, angetrieben von einem universalen Befehl, setzte das Shuttle seinen elliptischen Kurs unbeirrt fort. Mara kalkulierte hastig und hämmerte auf die Armaturen. Auf dieser Bahn würde sie das Orb verfehlen. Vor ihr drohte die Leere des Weltalls. Nein, nein, dachte sie.
Verunsichert und mühsam die Ruhe bewahrend ließ sie die Steuerung los und versuchte es dann noch einmal. Eine leichte Drehung würde vielleicht schon genügen.
Nichts geschah.
Norah Mann bestürmte sie mit hektischen Fragen. Jetzt hörte man auch Bradleys Stimme im Hintergrund. Mara ignorierte sie beide. Sie stieß den schlafenden Mann neben ihr mit dem Ellbogen an. „Kurt, hier stimmt etwas nicht.“
Er war sofort wach, und an der Art, wie er sich bewegte, sah sie, daß er die Gefahr, in der sie sich befanden, sogleich begriffen hatte. Dumm? Sie bezweifelte, daß sein IQ auch nur halb so groß wie ihrer war.
Wortlos griff er an ihr vorbei und packte die Steuerung.
Sie reagierte auf seine Berührung ebensowenig wie auf ihre.
„Ist etwas gebrochen?“ fragte sie. „Beschädigt? Kannst du nichts tun? Wir verfehlen die Bay.“ Das Orb schien jetzt direkt unter ihnen zu hängen.
Tsubata sagte: „Spring.“ Er griff nach unten und löste die Gurte, die ihn hielten. Er faßte das Chassis mit einer Hand. „Wenn wir so nahe dran sind, daß du die Außenhaut riechen kannst, dann springst du.“
„Aber können sie uns denn nicht folgen und uns zurückholen?“
„Willst du darauf warten? Ich sagte: Spring!“ Tsubata sprang, schnell und sauber. Mara folgte ihm. Zusammen stießen sie gegen die harte, zernarbte Außenhaut des Orb.
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