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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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fragte er und bemühte sich, mit gefasster Stimme zu sprechen.
    »Will jagen gehen«, sagte Danny abermals. »Toller Tag für so was.«
    Jonas schaute zum bleigrauen Himmel auf, der mehr Schnee verhieß.
    »Heute wird doch gar keine Jagd geritten, Alter. Du hast den falschen Tag erwischt.«

    »Ooooch«, wehrte Danny mit einer abfälligen Geste ab. »Scheiß doch auf so was! Wer sagt denn, dass es immer Donnerstag sein muss? Tigger und ich, wir reiten heute eine! Willst du mitkommen?«
    Zu Jonas’ Verblüffung sah er Hoffnung in Dannys Augen leuchten. Als erwarte er tatsächlich, dass er Ja sagen würde.
    Das ist nicht Tigger, hätte er am liebsten gesagt. Das ist nicht Tigger, und das hier ist verkehrt.
    »Das ist mein Pferd!«, verkündete John Took von irgendwoher zornig. Jonas machte sich gar nicht erst die Mühe hinzuschauen. »Und mein Jagdrock, verdammt noch mal!«
    Wieso hatten Marvel und seine Männer Danny nicht einfach gepackt, ihn auf der matschigen Straße zu Boden gerissen und ihn wieder in sein Haus geschleppt? Wieso hatte er da reingezogen werden müssen? An einem Tag wie heute, wo Lucy doch krank war und immer kränker wurde? Es war fast, als hätten sie auf ihn gewartet.
    Marvel trat aus der Menge heraus und sah aus wie ein Mann, der genug gesehen hat und zurück ins Warme will. Sobald Danny Marsh ihn erblickte, ließ er Jonas los und zog den Braunen in einem knappen, hufeklappernden Bogen herum, woraufhin Marvel  – und die gesamte Menge  – wie Wasser zurückwichen, um außer Reichweite seiner Hinterbeine zu bleiben. Danny wiederholte das Ganze, benutzte das Pferd dazu, sich mitten auf der Straße Platz zu schaffen. Der Braune schnaubte abermals und tänzelte nervös ein wenig auf der Stelle, was die Leute hinter ihm auseinanderstieben ließ.
    »STEH, Tigger!«, brüllte Danny und schlug dem Pferd mit der flachen Hand auf die Nase, woraufhin es hastig rückwärtsdrängte, gegen ein parkendes Auto prallte, das heftig schaukelte, während die Tür wie Alufolie zerknitterte. Dann tanzte das Tier seitwärts, während weitere Teile der Menge um es herum auseinanderwichen.
    Du hast den Verstand verloren, dachte Jonas dumpf. Du
hast vor all diesen Leuten den Verstand verloren. Danny Marsh glaubte, er sei zehn Jahre alt und sie wären immer noch Freunde. Und er versuchte, Jonas mit dorthin zurückzuzerren  – in die Zeit, als sie noch Kinder gewesen waren und sich auf der Farm herumgetrieben hatten, als ihre Träume und ihr Leben noch intakt gewesen waren …
    Jonas spürte, wie Wut in ihm emporstieg wie ein unflätiges Rülpsen.
    »Danny«, sagte er gepresst, »lass uns reingehen und drüber reden.«
    Danny sah ihn an; plötzlich war er ernst. »Du willst reden, Jonas? Ich bin bereit. Ich war immer bereit.«
    Jonas ließ den Arm sinken. Er hatte keine Ahnung, was der andere meinte, doch da war die Andeutung einer Drohung in Danny Marshs Ton, die ihn unerwartet traf und ihm ein Schaudern über den Rücken rieseln ließ. Genau hier, mitten am Tag, mitten auf der Straße, umgeben von halb Shipcott, hatte er zum ersten Mal, seit er sich erinnern konnte, das Gefühl, ernsthaft in Gefahr zu sein.
    Danny Marsh breitete in einer großspurigen »Komm doch her«-Geste die Arme aus und wedelte dabei mit den Zügeln, so dass das Pferd abermals zurückfuhr. Doch als er sprach, war seine Stimme leise, als wären Jonas und er die Einzigen hier.
    »Tu doch nicht so, als wüsstest du nicht, was ich meine, Jonas.«
    Danny war verrückt. Sie alle wussten das. Er steckte in irgendeinem Winkel seines eigenen Kopfes fest. Jonas würde sein Spiel nicht mitspielen. Dies hier musste ein Ende haben.
    »Das ist nicht Tigger«, sagte er brutal. »Tigger ist tot.«
    »Leck mich!«, schrie Danny. Er ließ das Pferd los und hieb wild mit der Faust nach Jonas.
    Jonas schlug so hart zu, dass er es bis in die Füße fühlte. Danny ging zu Boden, und Jonas folgte ihm, bekam nicht mit, dass Lucy ihm aus dem VW etwas zuschrie, bekam nicht
mit, wie der Braune herumfuhr und mit schleifenden Zügeln die schneebedeckte Straße hinaufpreschte  – bekam nichts mit außer dem Gefühl, wie Fleisch und Knochen aufeinandertrafen und harter Samt seine Knöchel aufschrammte.
    Bis ihm wieder einfiel, wer er war und was er war.
    Da stand er auf und ging davon.
     
    Mehr als jeder andere wusste Lucy, was Jonas für sie geopfert hatte.
    Er hatte nach Handfeuerwaffen und Kevlarwesten geschielt, doch die Diagnose hatte sie beide gezwungen,

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