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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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einen anderen Weg einzuschlagen.
    Sie hatten in der Dorfkirche geheiratet, während die arme Margaret Priddy auf der exzentrischen kleinen Orgel eine klapprige, keuchende Version von »All Things Bright And Beautiful« gespielt hatte. Einladungen hatten sie nur an ihre Familie und Freunde geschickt; er hatte gesagt, die Leute aus Shipcott würden sowieso alle kommen, ob sie nun eingeladen waren oder nicht. Und das taten sie auch  – sie standen im hinteren Teil der Kirche und draußen zwischen den schiefen Grabsteinen, um zuzusehen, wie Jonas seine Braut ins Sonnenlicht hinausführte.
    Seine Eltern hatten gestrahlt.
    Desmond und Cath.
    Lucy war ihnen vor der Hochzeit nur zweimal begegnet und würde sie nur noch einmal wiedersehen, bevor sie bei einem Frontalzusammenstoß auf der Tangente der A39 ums Leben kamen, beide waren sofort tot. Das andere Auto hatte den schlichten Rover der Hollys so plattgewalzt, dass eine Kleenex-Schachtel mit Häkelbezug vom Dach noch immer an ihrem Platz auf der Hutablage gehalten wurde, als sie und Jonas den Wagen in der Polizeisammelstelle sehen durften. Lucy würde das nie vergessen  – oder wie Jonas’ Hand bei dem Anblick in ihrer gezuckt und ein wenig fester zugepackt hatte.

    Lucy hatte stets das Bedürfnis verspürt, ihn zu beschützen. Eigentlich war das ja lächerlich. Jonas konnte gut auf sich selbst aufpassen.
    Sie war diejenige, die schwach und gebrechlich war. Sie mit ihren endlosen Medikamenten, die er abholen und verstauen und ihr verabreichen musste. Sie mit ihren Tränen und ihren Depressionen und dem fallen gelassenen Geschirr und ihrer Unfähigkeit, richtig zu kochen oder zu putzen, ihren Stimmungsumschwüngen und ihrer Verzweiflung. Sie mit ihrem Zunehmen, ihrem Abnehmen, der regelmäßig vollkommen abwesenden Libido. Es konnten Wochen  – manchmal Monate  – vergehen, ohne dass er ihren nackten Hintern zu sehen bekam, außer wenn er dabei war, eine Nadel hineinzustechen.
    Hot.
    Not.
    Er beklagte sich nie. Wurde nie ungeduldig. Ließ sie nie ein schlechtes Gewissen haben.
    Aber vielleicht, nur vielleicht, hatte sie heute zum ersten Mal gesehen, wie sich das alles auf Jonas auswirkte.
    Er redete nie darüber, wie er hier im Dorf aufgewachsen war  – als glaube er, sie wüsste schon Bescheid über ihn, so wie alle hier in Shipcott Bescheid über ihn wussten. Doch sie wusste, dass er mit Danny Marsh befreundet gewesen war, denn das hatte er ihr erzählt, nachdem Dannys Mutter umgebracht worden war.
    »Sie hat uns immer Baked Beans und Pommes gemacht«, hatte er an jenem Abend im Bett plötzlich gesagt.
    »Mrs. Marsh?«
    »Ja. Sie war die Mutter meines besten Freundes. Als ich noch zur Schule gegangen bin.«
    »Du meinst Danny Marsh aus der Autowerkstatt?«
    »Ja«, hatte er geantwortet.
    »Das wusste ich ja gar nicht. Der ist doch nett. Warum triffst du dich nicht mehr mit ihm?«

    »Nett?«, hatte er gefragt, und sie hatte das Lachen in seiner Stimme gehört. »Netter als ich?«
    »Viel netter«, hatte sie erwidert und war nur allzu froh gewesen, dass ihn das amüsierte. Und da war es  – sie hatten das Thema gewechselt. Er hatte das Thema gewechselt.
    Und heute hatte sie mit angesehen, wie er Danny Marsh zusammengeschlagen hatte. Sie hatte im Auto gesessen und zugesehen, wie er die Beherrschung verlor. Und dabei war ihr zum ersten Mal der Gedanke gekommen, wie viel an Beherrschung er zu verlieren gehabt hatte.
    Sie wollte ihn in die Arme nehmen und ihm sagen, dass alles gut werden würde. Wollte ihm übers Haar streichen wie einem Kind. Sie musste wieder an Jonas im Krankenhaus denken  – bevor er gemerkt hatte, dass er beobachtet wurde. Diese Furcht. Diese nackte, unschuldige Furcht, die sie bisher nur in den Gesichtern kleiner Kinder gesehen hatte.
    Es war ein Gesicht, das sie darüber nachgrübeln ließ, wo sich der kleine Junge in seinem Innern wohl für den Rest der Zeit versteckte.

8 Tage
    »Ich habe eine Theorie«, sagte Reynolds.
    Hast du doch immer, dachte Marvel. Reynolds war eine wahre Brutstätte für Theorien, Hypothesen und sogenannte »Vorschläge«.
    Sie saßen in der mobilen Einsatzzentrale, so dicht an der Gasheizung, wie es nur möglich war, ohne in Flammen aufzugehen.
    Der Pathologe hatte angerufen und bestätigt, was Marvel schon am Tatort vermutet hatte  – dass Yvonne Marsh ertrunken war und dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unter Wasser gedrückt worden war. Marvel hatte diese Neuigkeiten mit

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